Geschöpfe Der Ewigkeit
der Hölle rufe uns. Jetzt rieche ich wieder verbranntes Fleisch. Marie hat Schwierigkeiten, genug Luft zu bekommen.
»Es gibt einen Weg, der zur Seite und dann nach oben führt«, flüstert sie.
»Aber er ist nicht ganz gepflastert.«
»Was meinst du damit?«
»Er führt zu einem metallenem Rost in der Decke. Wenn sie nach oben blicken, werden sie uns sehen.«
»Warum sollten sie nach oben blicken?«
»Mein Herzog hat seine Augen überall.«
»Pah, Herzog. Er ist nichts als ein verworfener, irregeleiteter Mensch mit perversen Neigungen.« Ich wende mich zu dem roten Licht. »Er wird noch in dieser Nacht seinen Tod finden.« Wieder packe ich sie am Hals. »Komm nur, du wirst schon sehen.«
Der Weg, von dem Marie gesprochen hat, beginnt ein ganzes Stück vor der Höhle. Ich spüre deutlich, welche Spannung an dem Versammlungsort herrscht, höre Menschen miteinander flüstern, andere Unglückliche leise stöhnen, dann das Klacken von Metall. Noch bevor ich es sehen kann, weiß ich sicher, daß Landulf seine Anhänger und seine Soldaten zu dieser Zeremonie eingeladen hat.
Ich frage mich, ob sie alle Satan verehren.
Marie führt mich zu einem Tunnel, in dem wir uns bücken und auf allen vieren kriechen müssen. Hier ist es sehr heiß, und bald bin ich schweißüberströmt. Anfangs spüre ich Stein unter Händen und Füßen, schließlich ein Drahtgeflecht. Wir haben die Roste erreicht, von denen aus wir hinabschauen können.
Die Zeremonie scheint gleich zu beginnen.
Wir befinden uns direkt über dem Altar. Er ist rund und zu allen Seiten von Bankreihen umgeben, die hinten höher sind. Es dürften ungefähr sechshundert Leute anwesend sein. Alle tragen sie rote Gewänder, bis auf einige Soldaten an den Eingängen, die mit metallenen Brustpanzern und Helmen ausgestattet sind.
Der Altar selbst ist schwarz und glänzend; er scheint aus Marmor zu sein. In ihn eingraviert ist ein silbernes Pentagramm. Die fünf Zacken des Sterns unterteilen den Raum in fünf Bereiche. Landulf selbst und seine Frau sitzen auf dem Boden. Er ist der einzige, der eine schwarze Robe trägt, zudem bemerke ich ein kleines silbernes Messer in seinem Schoß.
Der Altar ist von Kerzen umgeben. Sie sind schwarz und hoch, und, was besonders ungewöhnlich ist, sie brennen mit purpurnen Flammen. Das Licht erleuchtet den dunklen Marmor und die Anwesenden wie die Glut eines Vulkans. Die Spannung, die in der Luft liegt, ist deutlich spürbar, und ich bin sicher, daß sie Landulf für die Ausübung seiner Zeremonie von großer Bedeutung ist.
Landulf erhebt sich und geht auf die Mitte des Pentagramms zu.
Er hebt die Hand mit dem Messer.
Die Anwesenden beginnen zu singen, und einen Moment lang bin ich verwirrt. Denn für mich hört es sich so an, als ob sie die katholische Messe auf Lateinisch intonieren. Aber dann erkenne ich, daß sie am Ende begonnen haben und sich von hinten zum Anfang vorarbeiten, Vers für Vers. Ähnlich ist auch der Umgang mit dem Messer, das Landulf hält: Der Griff hat die Form eines Kruzifixes, aber Landulf hält es verkehrt herum – an der Klinge.
Alles, was hier geschieht, ist eine Umkehrung.
Landulf hält die Klinge so fest, daß er sich schneidet und Blut seinen Arm hinabläuft, während die Anwesenden singen. Aber es scheint ihm nichts auszumachen. Merkwürdig, trotz allem empfinde ich den Gesang als wunderschön. Die Stimmen der Sänger erinnern mich an Dante, der nie schlafen ging, ohne zuvor die Messe zu feiern. Doch die Motive der hier Anwesenden sind zweifellos nicht mit den seinen zu vergleichen. Er bat Gott um Vergebung für Sünden, die er niemals begangen hatte. Diese Geschöpfe hier beten eine andere Macht an, ihre Sünden anzunehmen und sie dafür zu belohnen.
Nach etwa vierzig Minuten endet die verkehrte Messe. Die Soldaten tragen ein hölzernes Kreuz herein und legen es in die Mitte des Pentagramms. Als nächstes wird eine gefesselte Frau hereingebracht, die ganz in Weiß gekleidet ist. Sie ist geknebelt, so daß sie nicht schreien kann. Ich erkenne in ihr eines der Mädchen, von denen ich geglaubt habe, daß ich sie befreit hätte.
Das bedeutet, daß auch die anderen zwei nicht entkommen sind. Das Mädchen wird auf das Kreuz gelegt. Als man ihm den Knebel entfernt, höre ich sein leises Schluchzen. Landulf steht über das Mädchen gebeugt wie der Tod persönlich. Statt des Messers hält er jetzt einen kleinen Hammer und einige Nägel in den Händen. Es besteht kein Zweifel daran, was er damit
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