Geschöpfe Der Ewigkeit
sich. Bei jedem, der sie weitererzählt, kommt eine neue Lüge hinzu.«
»Auf den Straßen hierhin habe ich einen Bauern getroffen«, fahre ich vorsichtig fort. »Er tat, als ob er Euch kenne. Sein Name war Dante. Habt Ihr von ihm gehört?«
Herzogin Cia schaut mich an. »Dante? Mein Ehegemahl kennt ihn, seit er ein Kind war. Bitte erzählt uns, wo Ihr ihn getroffen habt.«
Meine Antwort bleibt ausweichend: »Ich habe ihn getroffen, als ich mich nach dem Tod meines Onkels im Wald verirrt habe. Aber das war drei Tagesreisen von hier entfernt. – Auch Dante schien sich verirrt zu haben«, füge ich hinzu, »und wir haben unser Essen miteinander geteilt.«
»Ich will hoffen, daß Ihr nichts anderes mit ihm geteilt habt«, erklärt Landulf düster und spielt damit auf Dantes Lepraerkrankung an.
»Ich habe stets darauf geachtet, ihm nicht zu nahe zu kommen«, berichte ich.
»Aber als er von diesem Ort sprach, geschah es mit Furcht. Doch ich habe nicht begriffen, warum.«
»Gewiß könnt Ihr es Euch erklären«, antwortet Cia. »Es liegt an seiner Krankheit. Seitdem er krank ist, redet er von nichts anderem als von Dämonen, die seine Seele wollen.«
Erneut hebt Herzog Landulf die Hand. »Ganz so einfach ist es nicht. Ich bin zum Teil schuld an seinem Zustand. Als ich ihn nach Rom mitgenommen habe, war er noch ein Junge, und der Heilige Vater begeisterte sich für seine Stimme.
Ohne mein Wissen oder gar meine Zustimmung ließ er ihn kastrieren, damit seine Stimme hoch bliebe. Dante hat den Verlust der Männlichkeit nur schwerlich überwunden, und ich glaube, daß er nie aufgehört hat, mir daran die Schuld zu geben. Und da ich nun schon einmal der Grund für seine körperliche Entstellung war, gab er mir kurzerhand auch noch die Schuld an seiner Krankheit, nachdem diese bei ihm ausgebrochen war.«
»Wir haben versucht, Dante hier bei uns unterzubringen«, fährt die Herzogin Cia fort. »Doch unsere Bediensteten fürchteten sich vor seiner Krankheit, und er selbst zog die Freiheit des Lebens auf der Straße vor.«
Landulf schüttelt den Kopf. »Es schmerzt mich, daß mein alter Freund nun auch in die Schmähreden der anderen gegen mich einstimmt. Doch jede Position hat ihren Preis. Ich kann der Aufgabe, die ich mir selbst gestellt habe, nicht plötzlich entsagen; ich werde weiterhin alles tun, diesen Teil der christlichen Welt gegen Angriffe zu verteidigen. Und wenn ich nach meinem Tod von jedem Kardinal im Vatikan verflucht werden sollte, so kann ich doch meinen Kopf hoch tragen, wenn ich eines Tages meinem Schöpfer entgegentreten muß.«
»Das allein ist wichtig«, stimme ich leise zu.
Landulf tritt näher an das Feuer und weist auf die eiserne Spitze des alten Speers an der Wand. »Sita, wißt Ihr, was das ist?«
Ich erhebe mich und gehe zu ihm. Ein einzelner grober Nagel ist durch einen gewundenen Draht am Speer befestigt. Der schwarze Schaft, das sehe ich jetzt aus der Nähe, ist später an der Spitze befestigt worden und nicht so alt wie diese. Landulf berührt die Speerspitze geradezu liebevoll und läßt seine Finger sanft über die Kanten gleiten, welche – bedenkt man das Alter der Waffe –
erstaunlich scharf sind.
»Ich habe diesen Speer noch nie zuvor gesehen«, erkläre ich.
Er nickt. »Wenige Leute haben das – ausgenommen diejenigen, die dazu ausersehen wurden, die Ungläubigen zu bekämpfen. Dies ist der Speer von Longinus, manchmal auch der Mauretanische Speer genannt. Mit diesem Speer schnitt der Römer Gaius Cassius unter der Herrschaft des Prokonsuls Pontius Pilatus unserem Herrn Jesus die tödliche Wunde, als dieser am Kreuz hing.
Damit erfüllte er die Prophezeiung aus dem Alten Testament, daß Jesus auf diese Art beweisen müsse, daß er der wahre Messias sei. Vielleicht weißt du, Sita, daß zu der Zeit, als Jesus am Kreuz hing, die Hohepriester Annas und Kaiphas die Römer zu überzeugen versuchten, daß Jesus getötet werden müsse, bevor der Sabbath anbricht. Die Priester hofften, daß die Römer Jesus’ Körper verstümmeln – und auf diesem Weg beweisen würden, daß er nicht der Auserwählte sei. Aber Gaius Cassius war Jesuß ergeben und glaubte seine Lehren, obwohl er selbst ein Soldat der Römer war, und er wollte nicht, daß dessen Körper verstümmelt wurde. Er ergriff diesen Speer aus freiem Willen –
und hielt damit die Erfüllung der alten Prophezeiung in der Hand. In dem Augenblick, als er Jesus damit die tödliche Wunde in die Seite zufügte, wurden die
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