Geschöpfe Der Ewigkeit
war klug genug, seine Waffe zu verbergen. Es war Dante, der mir gesagt hat, Perseus wäre ein Narr gewesen, sich von einer solch machtvollen Waffe zu trennen.
Medusa. Perseus. Dante.
»Meine Dame«, höre ich Dante hinter mir flüstern.
»Ich komme«, sage ich.
Ich knie mich nieder, um mein Hemd zu benetzen.
Und wieder halte ich inne.
In der Stille der Nacht höre ich plötzlich wieder Richard Wagners Oper. Die Musik hallt in meinem Kopf. Wieder habe ich das Gefühl, die Oper Parsival zu sehen – auf der Bühne, deren majestätischen Hintergrund die Gestirne bilden.
Jede der Hauptgestalten könnte ein Wesen aus der Mythologie sein. König Artus könnte König Polydectes sein, der Perseus auf die Jagd nach dem Gorgonen schickte. Parsival könnte Perseus sein, der die Medusa erschlug. Aber wer wäre Klingsor? Medusa selbst, natürlich. Diejenige, die durch Schönheit besticht, aber deren Haar aus züngelnden Schlangen besteht. In diesem Augenblick verstehe ich, daß die Schlangen auf Medusas Kopf symbolische Bedeutung haben. Sie sind da, damit jeder sieht, was für eine Art Geschöpf sie ist.
»Beeilt Euch, meine Dame«, flüstert Dante.
»Das werde ich«, entgegne ich. Aber ich kann weder atmen noch mich bewegen.
Klingsor und die Medusa. Klingsor und Landulf.
Sie hatten so vieles gemeinsam.
Bis auf eine Kleinigkeit. In der Oper wird diese Kleinigkeit »Ding« genannt.
Auch Wolfram von Eschenbachs Parsival wußte von diesem »Ding«.
Klingsor hatte ein besonderes Kennzeichen.
Er war an einer bestimmten Stelle vollständig glatt.
Jetzt erinnere ich mich daran. An alles.
Und ich fühle mich elend, denn die Wahrheit ist so entsetzlich, daß ich sie kaum ertragen kann.
Ich bin versteinert. Auch die Tränen retten mich nicht – Tränen, die gar nicht erst fließen. Nicht bevor ich diesen entsetzlichen Schmerz spüre. Doch obwohl ich die Wahrheit kenne, weigere ich mich, sie zu akzeptieren. Mein Glaube mag stärker sein als Stein, aber über die Zeit hinweg wird Stein vom Wasser ausgewaschen. Wasser oder Tränen, alles ist eins. Ich muß mich zwingen, meinen versteinerten Körper umzudrehen, damit ich das sehen kann, was hinter mir wartet.
Ich benetze mein Hemd, erhebe mich und sehe eine kleine Echse, die sich neben dem Teich dahinschlängelt. Einen Augenblick später befindet sie sich in meiner Hand, in meiner Tasche, und ich gehe zurück zu Dante, der noch immer auf dem Felsen sitzt, auf dem ich ihn zurückgelassen habe. Ein Lächeln gleitet über sein Gesicht, als ich mich ihm nähere, obwohl seine Augen noch immer geschlossen sind. Ich beuge mich vor und beginne vorsichtig seine verbrannte, kranke Hand und den Arm abzuwaschen. Er genießt meine Berührung.
»O Herrin«, sagt er.
»Entspann dich, Dante«, entgegne ich, »ich muß dich reinigen, bevor ich dich heile. Du möchtest doch, daß ich dich heile, nicht wahr?«
»O ja.«
»Gut.« Ich schließe kurz die Augen und beiße mir auf die Unterlippe. »Das ist gut.«
Sekunden später sind seine Hand und sein Arm sauber. Ich lehne mich zurück und greife nach der Eidechse in meiner Tasche. »Hab keine Angst«, sage ich.
»Ich habe keine Angst«, flüstert er.
Ich verberge die Hand mit der Echse hinter meinem Rücken und zerdrücke das Tier. Ich drücke so fest zu, daß sein ganzes Blut in meine Handfläche läuft.
Dann sind meine Hände über Dantes Leprawunden, und ich lasse das Blut des Tieres darauf niedertropfen. Echsen sind Kaltblüter, das Blut dieses Tieres ist nicht so warm, wie meines gewesen wäre. Aber Dante scheint es nicht zu bemerken, und ich bin dankbar dafür. Ich kann meinen Blick nicht von seinem Gesicht nehmen. Ich suche etwas darin, eine kleine Änderung des Ausdrucks, während das Blut auf ihn tropft. Einen Ausdruck, den ich zuvor noch nicht gesehen habe. Einen Ausdruck des Triumphs vielleicht oder der Arroganz. Ich warte darauf, um meine Unsicherheit endgültig ablegen zu können.
Aber das, was ich sehe, ist schlimmer.
Als das Blut auf ihn tropft, kräuselt sich leicht seine Unterlippe. Sie kräuselt sich auf eine unschöne Weise, und ich glaube jetzt sicher, daß er seine Verachtung für mich nur noch schwer verbergen kann. Ich ziehe meine Hände zurück.
»Öffne die Augen, Dante«, sage ich.
Er öffnet die Augen und strahlt. »Bin ich geheilt, meine Dame?«
Ich lächle voll vorgetäuschter Freude. »Fast, mein Freund.«
Dann ergreife ich ihn am Kragen seines schmutzigen Hemdes und ziehe ihn zu dem Teich, bevor er
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