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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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lag der Waschsalon Tidy Time, der von Neonlicht durchflutet wurde. Zur Zeit hielten sich jedoch keine Kunden dort auf.
    Mit einer Dollarnote in der Hand, die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen, ging ich hinein in den Blumenduft des Waschpulvers und die chemische Schärfe der Bleiche, den Kopf gesenkt, um den spärlichen Schutz zu erhöhen, den der Schirm meiner Mütze bot. Ich lief direkt zum Wechselautomaten, schob den Schein hinein, schnappte mir die vier 25-Cent-Stücke, die er in die Ablage ausspuckte, und floh nach draußen.
    Zwei Blocks weiter, vor dem Postamt, stand ein Münzfernsprecher mit Schallschutzblechen, die wie riesigeVogelschwingen aussahen. Über dem Telefon war hinter einem Drahtkäfig eine Lampe an der Hauswand angebracht.
    Als ich die Mütze über den Käfig hängte, senkten sich Schatten über mich.
    Ich ging davon aus, daß Manuel Ramirez noch zu Hause war. Aber ich erreichte nur seine Mutter, Rosalina, die sagte, er sei schon seit Stunden weg. Da ein anderer Officer sich krank gemeldet hatte, habe er heute eine Doppelschicht übernommen. Heute abend tue er Dienst in der Zentrale; nach Mitternacht sei er dann auf Streife.
    Ich wählte die Nummer des Polizeireviers von Moonlight Bay und bat die Vermittlung, mich mit Officer Ramirez zu verbinden.
    Manuel – in meinen Augen der beste Cop in der Stadt – ist zehn Zentimeter kleiner als ich, fast dreißig Pfund schwerer, zwölf Jahre älter und Amerikaner mexikanischer Abstammung. Er sieht sich gern Baseball an; ich verfolge niemals Sportsendungen, weil ich ein genaues Gefühl dafür habe, wie die Zeit vergeht, und meine kostbaren Stunden nicht mit zuviel Passivität verschwenden will. Manuel bevorzugt Country Music; ich mag Rock. Er ist überzeugter Republikaner; ich interessiere mich nicht für Politik. Was Filme anbelangt, so sieht er sich gern Abbott und Costello an; ich stehe auf den unsterblichen Jackie Chan. Wir sind Freunde.
    »Chris, ich habe das von deinem Dad gehört«, sagte Manuel, als er schließlich am Apparat war. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    »Ich eigentlich auch nicht.«
    »Tja, es gibt eigentlich nie allzuviel zu sagen, was?«
    »Jedenfalls nichts, was wichtig ist.«
    »Kommst du klar?«
    Zu meiner Überraschung versagte mir die Stimme. Mein schrecklicher Verlust schien plötzlich die Nadel eines Chirurgen zu sein, die mir die Zunge am Gaumen festgenäht hatte und damit die Kehle zuschnürte.
    Seltsamerweise hatte ich unmittelbar nach Dads Tod dieselbe Frage ohne das geringste Zögern beantworten können, als Dr. Cleveland sie mir stellte.
    Ich stand Manuel näher als dem Arzt. Freundschaft taut die Nerven auf und bewirkt, daß man Schmerz wieder wahrnimmt.
    »An meinem nächsten freien Abend kommst du rüber«, sagte Manuel. »Wir trinken ein paar Bier, essen ein paar Tamales und sehen uns Jackie-Chan-Filme an.«
    Trotz Baseball und Country Music haben wir viel gemeinsam, Manuel Ramirez und ich. Er arbeitet in der »Friedhofsschicht«, von Mitternacht bis acht Uhr morgens, und übernimmt manchmal auch die Spätschicht, wenn – wie am heutigen Märzabend – Personalmangel herrscht. Er mag die Nacht genauso sehr wie ich, hat die Nachtschicht aber auch aus Notwendigkeit übernommen. Da die Friedhofsschicht wesentlich unbeliebter ist als der Dienst tagsüber, ist die Bezahlung höher. Noch wichtiger ist für ihn jedoch, daß er die Nachmittage und Abende mit seinem Sohn Toby verbringen kann, für den er liebevoll sorgt. Vor sechzehn Jahren starb Manuels Frau, Carmelita, ein paar Minuten, nachdem sie Toby auf die Welt gebracht hatte. Der Junge ist liebenswürdig, bezaubernd – und ein Opfer des Down-Syndroms. Manuels Mutter zog sofort nach Carmelitas Tod zu ihm und hilft ihm noch immer, Toby zu versorgen. Manuel Ramirez weiß, was Grenzen sind. Er spürt jeden Tag seines Lebens die Fügung des Schicksals, in einem Alter, in dem die meisten Menschen nicht mehr an den Sinn des Lebens oder das Schicksal glauben. Wir haben viel gemeinsam, Manuel Ramirez und ich.
    »Bier und Jackie Chan, hört sich toll an«, sagte ich. »Aber wer macht die Tamales – du oder deine Mutter?«
    »Oh, nicht mi madre, das verspreche ich dir.«
    Manuel ist ein außergewöhnlich guter Koch, während seine Mutter glaubt, sie sei eine außergewöhnlich gute Köchin. Ein Vergleich ihrer Kochkünste erweist sich als beängstigend erhellendes Beispiel für den Unterschied zwischen einer guten Tat und einer guten Absicht.
    Ein Wagen fuhr hinter

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