Gestaendnis im Orchideengarten
er sich von ihr verstanden, weit mehr als von den meisten Menschen, mit denen er sonst täglich zu tun hatte. Instinktiv tröstete sie ihn für etwas, von dem sie im Grunde nichts wissen konnte.
Schweigend saßen sie da. Draußen zirpte ein Vogel, und der Wasserkocher zischte noch leise.
Ihm fiel auf, dass ihr Haar nicht einfarbig braun, sondern in allen Schattierungen kupferrotgoldbraun war, und ihre großen Augen, die ihn nun so Anteil nehmend ansahen, noch grüner als gedacht. Alles passte perfekt zu ihrem gold schimmernden Teint.
Sie wirkte so natürlich, nichts an ihr schien aufgesetzt oder unecht.
Ihre Aufrichtigkeit berührte ihn an einem Punkt, der tief in seinem Herzen vergraben war. Er konnte ihr den wahren Grund für sein Leben im Hotel nicht sagen.
„Keine Sorgen, das ist nur ein vorübergehender Zustand. Ich lasse mir im Moment von ein paar Toparchitekten ein Haus konstruieren. Es ist nur noch nicht fertig.“ Mit der freien Hand gestikulierte er in der Luft. „Vielleicht noch drei oder vier Monate, dann ist es so weit. In der Zwischenzeit erledige ich internationale Aufträge und bin viel unterwegs. Ich mag das Hotelleben.“
„Ist bestimmt aufregend“, sagte sie und klang wenig überzeugt. „Ich hatte schon Sorge. Für mich ist Heimatlosigkeit ein Albtraum, aber ich bin da ein gebranntes Kind. Das verstehen Sie vermutlich nicht.“
Er hatte das Gefühl, ein Kübel Eiswasser sei gerade über ihm ausgeschüttet worden. Fast hätte er herausgeschrien, wie falsch sie mit ihrer Vermutung lag.
Nach dem Tod der Eltern waren seine Schwester und er monatelang herumgeschubst worden, von einer Familie zur nächsten, bis seine Tante dem Drama ein Ende machte und das Sorgerecht für sie beantragte. Er konnte damals wochenlang nicht schlafen, hatte immer Angst, sie kämen ins Heim, und bemühte sich gleichzeitig, seine Furcht vor der jüngeren Schwester geheim zu halten. So hatte es angefangen mit den kleinen und großen Täuschungsakten, in denen er es zu wahrer Meisterschaft gebracht hatte.
Doch das alles konnte er Sara nicht erzählen. Er war nicht in der Lage, so offen wie sie zu sprechen. Deshalb verschwieg er vieles. Wie immer. Und setzte stattdessen sein professionelles Lächeln auf, das er über Jahrzehnte hinweg perfektioniert hatte. Freundlich-interessiert und dennoch immer auf Distanz.
„Um auf Ihre erste Frage zurückzukommen: Ich kann mich für die Küche nicht zwischen Stahl und Granit entscheiden. Das ist noch offen.“
Er zog seine Hand zurück und wischte ein paar Krümel vom Ärmel. Dann nahm er einen großen Schluck Tee, um sein Unbehagen zu überspielen. Ein Themenwechsel war nötig, und zwar rasch.
„Okay, also zurück an die Arbeit. Fangen wir am besten bei den Finanzen an, Kontoauszüge, Rechnungen, Eingänge. Dann haben wir einen Überblick über die aktuelle Kassenlage, und daraus können wir Optionen ableiten, die Ihnen eventuell offenstehen.“
Sara nickte und stand auf. „Alles klar. Diese Unterlagen habe ich sogar hier gesammelt, ganz systematisch geordnet.“
Ungläubig starrte er auf drei von Bankauszügen und Quittungen überquellende Schuhkartons, die sie aus einem Küchenschrank hervorzog. Stolz stellte sie ihm das Durcheinander vor die Nase.
„Leider sind wohl ein paar Aufkleber abgefallen, die die Zuordnung erleichtern sollten. Ich hoffe, das ist nicht schlimm?“
„Sara, warum ist das alles nicht in irgendeiner Excel-Datei in Ihrem Computer?“, fragte er verzweifelt.
„Weil ich keinen Computer besitze.“
Er fuhr sich vor Entsetzen mit einer Hand an den Mund und versuchte, die Nachricht zu verdauen. „Wie halten Sie ohne Computer Ihre Webseite auf dem aktuellen Stand?“
„Ich hab auch keine Webseite, aber nächstes Jahr wollte ich das alles mal angehen. Warum fragen Sie? Ist das ein Problem?“
7. KAPITEL
Eineinhalb Stunden später war der letzte Muffin aufgegessen, und Leo saß noch immer schwitzend über Saras Buchhaltung.
In der kleinen Küche war kaum Platz für beide, trotzdem arbeiteten sie sich am Küchentisch gemeinsam durch die Unordnung. Als Leo sie zum dritten Mal versehentlich unter dem Tisch anstieß, schlug sie vor, sich nebeneinanderzusetzen, damit er mehr Beinfreiheit hatte.
Begeistert nahm er den Vorschlag an. Natürlich nur, um besser arbeiten zu können.
Nicht, weil er wahnsinnig gern in ihrer Nähe war – und das anarchische Durcheinander überall eigentlich ganz heimelig und gemütlich fand.
Er war ihr nun so nah, dass
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