Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geständnisse eines graumelierten Herren

Geständnisse eines graumelierten Herren

Titel: Geständnisse eines graumelierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
Mutti.
    Die Begegnung blockierte Lukas am Schreibtisch über die Maßen. Eindrücke mögen für den Tatsachenverarbeiter unerläßlich sein, der Phantasie legen sie Ketten an.
    Endlich bewegte sich der Zeichenstift. Bis Lukas auf die Uhr sah, hatte die Versammlung beim Unterwirt schon begonnen. Den Zwang aufzuhören empfand er wie einen Schmerz. Seine Verspätung fiel indes nicht auf. Der Kreisbaumeister sprach bereits, sichtbar war er für den sich in die Überfülle Hineinquetschenden nicht. Um das stillose Bauen in sogenanntem ländlichem Stil ging’s, um die Unsymmetrie durch ungleiche Länge, weil die Garagen noch mit drunter sollen, die Rundbogenmode, willkürlich verteilte Fenster aller möglichen Größen, das Statussymbol Außenkamin, am Zaun Verdrängung der Hainbuchenhecke durch. Thujen oder Fichten, wobei letztere leicht Opfer der eingeschleppten amerikanischen Sitkalaus würden. „Wenn’s an Schädling einschleppen, solln’s halt dem sein Feind auch gleich mi-bringa!“ schloß er das Thema ab.
    Die folgende Diskussion brachte für Lukas zwei Enttäuschungen. Zum einen: die Straße. Sie werde kommen; zum andern: einen Teilnehmer, der gegen reiche Fremde wetterte, die den Bauern Hof und Grund unterm Hintern wegkaufen würden und die einheimische Jugend in die Industrie trieben, weil Bauernsöhne im Ort nicht bauen dürften. Das Gesetz gegen Überfremdung treffe somit sie.
    Die Dörfer seien längst zerstört, ein Baustop daher erforderlich, meinte der Kreisbaumeister. Großartige Ortskerne seien aus Geldgier von Betonringen übelster Siedlungshäuschen erdrosselt.
    Doch der Beifall galt dem Aufwiegler gegen die bösen Fremden. Lukas hatte seine Stimme sofort erkannt. Zuletzt sah er ihn auch, umringt von Bauern, die jubelten, endlich einen auswärtigen Bock für ihre Sünden zu haben. Es war der Maxi.
    In dieser aufgebrachten Stimmung zog Lukas den Rückzug vor. Ehe man ihn erkannte. Was er jetzt zu seiner Verteidigung auch Vorbringen würde, es wäre nutzlos. Was hatte den grundehrlichen Maxi veranlaßt, ihm derart in den Rücken zu fallen? Sollte er sich so getäuscht haben?
    Vor dem Bühlhof stand ein Wagen. Drinnen erstarb das Gespräch als er eintrat. Zwar wedelte Bella freudig, doch das Bild ländlichen Friedens mit Daniela und Ellen auf dem Kanapee trog. Sie hatten wohl über Renate gesprochen, und da Ellen Bescheid wußte, war er auch für sie der Zerstörer. Auf Danielas Frage schilderte er den Kreisbaumeister knapp und hölzern als Mann mit vernünftigen Ansichten, zog seine Strickweste an und machte belanglose Konversation, bis er Ellen damit auf die Beine brachte. Als Mann auf dem Hof geleitete er sie zum Wagen, folgte einem Einfall ins Zu-Haus, wo er sein Zeichenbrett mitnahm, schenkte Daniela ein beruhigendes Fastenbier ein und begann mit einem Warnschuß. „Unsere Idylle scheint bedroht! Seltsamerweise ohne mein Zutun. Doch ab jetzt gedenke ich aktiv zu werden, wie falsch du das auch finden magst.“
    Lukas sah sie nicht an, während er der Reihe nach berichtete, er zeichnete dabei. Daniela sah ihn auch nicht an, sie strickte, sagte nichts, fragte nichts und blieb still als er nur noch zeichnete. Der Männchenmaler fühlte sich verstanden, ohne Eile setzte er den Einfall um, zeigte Daniela das Produkt und las die Reaktion an ihrem Gesicht ab. Ein erkennendes Schmunzeln. Das genügte ihm.
    Schlafend, in prächtiger Kutsche mit Krone auf dem Dach, sitzt der Ministerpräsident als Märchenkönig. Er träumt, wie über ihm sichtbar, von einer Fahrt durch sein heiles Land mit Feldern, Wäldern, Rehlein, Seelein und Kirchlein. In Wirklichkeit fährt ihn der Kutscher durch eine hektarweite Baustelle mit riesigen Bulldozern, die ganze Bauernhöfe und Wälder wegschieben, samt den Kühen auf der Weide. Darunter Schrift: der könig verschläft den untergang.
    Lukas zog das Blatt weg und zeigte ihr das nächste.
    Überlebensgroß der König. Vor ihm mit Transparenten demonstrierende Untertanen, deren Häuser im Hintergrund für den Straßenbau abgerissen werden. Der König schüttelt einen Sandstreuer über den Köpfen der Demonstranten, die sich die Augen wischen und dabei verhaftet werden. Darunter Schrift: der könig beruhigt sein volk!
    Das werde eine neue Serie für die Zeitung, erklärte Lukas. Er wolle eine Reaktion von oben provozieren, weil nur bemerkt wird, was an der großen Glocke hängt. Nach Veröffentlichung könne Martina ihn als aktuellen Nestbeschmutzer in ihre Interview-Schau

Weitere Kostenlose Bücher