Gestern, heute - jetzt
es nicht für nötig, es ihm zu sagen. Der Schmerz dieses Betrugs saß tief.
Und dann war da noch Simone … Rafael schloss die Augen, um das Bild von Simones ersten, hektischen Versuchen, sein Treffen mit de Morsay zu verhindern, aus seinem Gedächtnis zu verdrängen. Diese letzten gewisperten Worte, ehe der ältere Mann bei ihnen angelangt war. Lauf, hatte sie geflüstert und ihn damit direkt in seine Kindheit zurückkatapultiert. Rafael, lauf.
Simone hatte nichts von seiner wahren Beziehung zu Etienne de Morsay gewusst. Oh, natürlich hatte sie es schnell genug erahnt. Sobald sie die beiden zusammen sah, zählte sie, intelligent wie sie war, eins und eins zusammen.
De Morsay hatte recht. Was Simone anging, hatte er sich wie ein Idiot verhalten.
In diesem Moment hätte er den Wagen beinahe gewendet. Fast wäre er zu ihr zurückgekehrt, so groß war sein Bedürfnis, mit ihr zu reden und sie zu trösten, sich darum zu bemühen, den Scherbenhaufen seines Lebens so zusammenzusetzen, dass er endlich passte.
Aber er tat es nicht.
Wenn er ein bisschen mehr Vertrauen gehabt hätte, dann wäre er vielleicht umgekehrt.
Doch er tat es nicht.
Harrison stand auf der Veranda, als Rafe Stunden später endlich dort ankam. Ein Blick auf das betrübte Gesicht des älteren Mannes und die traurigen Augen reichte, um Rafaels Herz endgültig zu brechen.
Er stieg aus dem Auto, ignorierte Harrison zuerst und versuchte, den Schlüssel in die Eingangstür zu stecken. Seine Hand zitterte so stark, dass er es einfach nicht schaffte.
„Du hast es gewusst.“ Er konnte den älteren Mann immer noch nicht anschauen. Stattdessen blickte er auf seine Hände und ballte sie zu Fäusten. „Du hast gewusst, dass ich nicht dein Sohn bin.“
„Ja, ich wusste es.“ Harrisons Stimme klang leise und angespannt. „Du bist sieben Monate nach meinem Hochzeitstag geboren worden, Rafael. Ein gesunder, prachtvoller Junge. Ich wusste nicht, wer dich gezeugt hatte, aber ich wusste, dass ich es nicht gewesen sein konnte. Es war mir egal.“
„Wie kann es dir egal gewesen sein?“
„Du warst ein unschuldiges Kind, Rafael. Was hätte ich denn tun sollen? Mich abwenden?“
„Ich war nicht von dir.“
„Und ich habe dich trotzdem geliebt, als wärest du es. Das Herz besitzt diese Fähigkeit, weißt du. Etwas über alle Maßen zu lieben, obwohl es nicht zu dir gehört.“
Rafaels Kehle schnürte sich zu.
„Als Josien mich verließ und dich und Gabrielle mitnahm, da brach sie mir das Herz“, fuhr Harrison in jener melodiösen Art fort, die Rafe schon immer geliebt hatte. „Als sie mir den Zugang zu euch verwehrte, weil ich nicht dein Vater bin, da brach sie es ein zweites Mal.“
„Gabrielle …“ Rafael hatte endlich seine Stimme wiedergefunden. „Ist Gabrielle …?“
„Gabrielle ist von mir“, erklärte Harrison. „Aber wenn ich um sie gekämpft hätte, hätte ich dich aufgeben, hätte ich dich von deiner Schwester trennen müssen, und das konnte ich nicht.“
Rafael legte die Stirn an das verwitterte Holz und schloss die Augen.
„Der Tag, an dem du auf meiner Türschwelle standest, war einer der zwei glücklichsten Tage meines Lebens“, sagte Harrison ruhig. „Der Tag, an dem Gabrielle kam, war der andere.“
Rafael legte auch noch die Hände an die Wand. Erwachsene Männer sanken nicht zu Boden und weinten.
„Vor zwei Stunden habe ich einen Anruf von einem Mann bekommen, der behauptet, dein Vater zu sein, und ein König, und weiß Gott was sonst noch. Ich weiß nicht, warum er Josien und dich vor all den Jahren verlassen hat, aber ich weiß eines ganz gewiss: Was dich angeht, war es sein Verlust und mein Gewinn.“
Harrison trat näher an ihn heran. Er legte seine warme, große Hand vorsichtig auf Rafes Schulter.
„Dieser Mann, dieser König, möchte dich wieder treffen. Er hat mich eindringlich gebeten, ihn in diesem Wunsch zu unterstützen. Er hat von Staatsangelegenheiten gesprochen, von Erbe und Bedauern. Ich habe ihm gesagt, dass ich mit meinem Sohn reden würde und dass wir uns bei ihm melden würden.“
„Ich weiß nicht, was ich tun soll“, wisperte Rafael. Ein Schrei direkt aus seinem Herzen, während seine Seele still weinte.
„Dann sind wir schon zu zweit“, versetzte Harrison. „Aber eins will ich dir sagen, Rafael. Egal welche Enthüllungen vor dir liegen, du wirst für mich immer mein Sohn sein, und ich werde dir immer zur Seite stehen. Immer.“
Eine ganze Weile standen sie einfach nur so da, ehe
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