Gestern, heute - jetzt
Mann, makellos gekleidet in dunklem Anzug und weißem Hemd. Ein Mann mit attraktivem Gesicht und strahlend blauen Augen, die sich unverwandt auf Rafael richteten und keine Sekunde nach rechts oder links abdrifteten.
Simone blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Es war, als hätte sie einen Schlag in die Magengrube erhalten.
Eine unbarmherzige Erkenntnis überfiel sie.
Etiennes Wissen um Rafes Leistungen. Gabrielles Beharren darauf, dass der König sich von ihm fernhalten sollte. Nicht von dem Weingut, sondern von Rafael . „Oh, nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“
Rafe war ebenfalls stehen geblieben. Verwirrt blickte er sie an. „Simone? Was ist los?“
„Rafe …“
„Was? Stimmt etwas nicht?“
„Ich … Ich kann nicht …“ Erneut schüttelte sie den Kopf, als könne sie auf diese Weise Klarheit in ihre Gedanken bringen. „Vielleicht solltest du nicht …“
„Sollte ich nicht was?“
„Das hier tun. Rafael, lass uns das Treffen einfach vergessen und gehen“, bat sie eindringlich.
„Wohin gehen?“
„Irgendwohin!“ Irgendwohin, nur bloß nicht zu Etienne de Morsay, der bereits zielstrebig auf sie zusteuerte. „Rafael, bitte . Ich … ich fühle mich nicht wohl. Bitte, lass uns einfach gehen.“
Rafe legte eine Hand um ihren Ellbogen und runzelte die Stirn. „Wie unwohl?“
Die Lügen verursachten ihr echte Übelkeit, was man ihr anzusehen schien.
„Okay“, sagte er rasch. „Ein Zimmer. Wir besorgen dir ein Zimmer, wo du dich hinlegen kannst. Ich entschuldige mich nur schnell bei de Morsay, und dann gehen wir.“
„Nein!“
„Nein zu was ? “
Simone war kurz davor, eine Szene zu machen. Rafael sah ganz so aus, als würde er gleich die Geduld verlieren. Etienne kam immer näher auf sie zu. Plötzlich fühlte sie sich in ihre Kindheit zurückversetzt und zerrte heftig an Rafaels Arm. „Lauf“, flehte sie ihn an. „Rafael, lauf.“
Im nächsten Moment streckte Etienne die Hand zur Begrüßung aus. Rafael ergriff sie, während sich zwei Paar blaue Augen begegneten und Simone in entsetztem Schweigen daneben stand. Rafe entschuldigte sich gleich darauf und sagte, dass es Simone nicht gut gehe, woraufhin sie von beiden Männern besorgt angeschaut wurde. Innerlich betete sie, dass all das nur ein schlimmer Traum war, aus dem sie gleich erwachen würde.
„Komm“, murmelte Rafe sanft und drängte sie zu einem Stuhl. „Setz dich einen Moment, während ich mich um ein Zimmer kümmere.“
„Ich habe hier eine Suite“, schaltete sich Etienne sofort ein. „Die ist näher. Bitte, sie steht Ihnen zur Verfügung.“
„Sie sind sehr …“ Wenn sie das Wort freundlich benutzte, würde sie daran ersticken. Wo war dieser Mann während Rafaels Kindheit gewesen? Wo zur Hölle hatte er gesteckt, als Josien ihren Sohn zur Strafe für irgendwelche eingebildeten Vergehen grün und blau geschlagen hatte? „Ich kann nicht …“
„Dann ein Glas Wasser“, erwiderte Etienne, und kaum dass er die Worte geäußert hatte, wurde Simone auch bereits ein Glas in die Hand gedrückt. Sie stürzte sich wie eine Verdurstende darauf. Rafael blickte sie warm an und lächelte dabei. „Na, du Wildfang“, murmelte er und presste einen Kuss auf ihre Schläfen. „Fühlst du dich jetzt ein bisschen besser?“
Sie stellte das Glas auf dem Tisch ab. „Ja.“ Nein. Aber sie würde sich erholen und Rafael so gut es ging vor diesem Mann beschützen. Das musste sie tun.
Langsam wandte sie sich an den König von Maracey. „Entschuldigen Sie bitte, Euer Hoheit.“
Etienne winkte ihre Entschuldigung beiseite und lächelte sie charmant an. Innerlich zuckte sie zusammen, denn sie kannte dieses Lächeln, sie kannte es nur zu gut. Allerdings hatte sie nie die nötigen Schlüsse gezogen. Bis zu diesem heutigen Tag.
„Sie haben mich mal Etienne genannt, junge Simone“, entgegnete er. „Ich fände es schön, wenn Sie das wieder tun würden.“
„Vielen Dank, Euer Hoheit.“ Eher würde er in der Hölle schmoren, als dass sie sich mit diesem Mann gemein machte. Mit wackligen Knien stand sie auf.
„Meine Suite wäre wohl das Beste“, sagte Etienne.
„Nein“, widersprach sie. „Der Schwindel ist vorüber. Es geht mir gut.“
„Bist du sicher?“ Rafael war vor sie getreten und verdeckte den König, der ihm so ähnlich sah.
„Oh, Rafael.“ Ihr Herz weinte, wenn sie an all die Lügen dachte, die ihn umgaben. Wie lange wusste Gabrielle es schon? Ahnte Luc etwas? Harrison musste es wissen,
Weitere Kostenlose Bücher