Gestickt, gestopft, gemeuchelt: Kommissar Seifferheld ermittelt (Knaur TB) (German Edition)
Herrngasse zugestellt hatte. Der Mann flüsterte: »Ihr Hund wird doch nicht bellen oder zur Treppe laufen?«
Seifferheld schüttelte stumm den Kopf.
Als ob Onis verstanden hätte, dass es um ihn ging, machte er unaufgefordert Platz und legte den Hundeschädel zwischen die Pfoten.
»Hören Sie mal, weiß es denn hier noch niemand?«, fragte Seifferheld den Ordner.
»Was?«, fragte der betont leise zurück.
»Nun ja …« Seifferheld wollte keine Panik verbreiten. Die Theaterkollegen wären sicher erschüttert, wenn sie das von Salina Tressler erfuhren. Aber wie hieß es im Theater immer: The show must go on …
»Was denn nun?«, insistierte der Ordner.
»Ich komme eben vom Wohnheim am Rippberg. Man hat heute Nacht Salina Tressler tot aufgefunden.« Seifferheld sprach mit der würdevollen Stimme, die er früher – im aktiven Dienst – schon immer eingesetzt hatte, wenn er nächsten Angehörigen einen Todesfall mitteilen musste.
Der Ordner nahm es mit Fassung auf. »Ja und?«
Nun war der gemeine Hohenloher ( Homo Hohenlohicus ) nicht dafür berühmt, mit seinen Gefühlen hausieren zu gehen. Er hackte sich bei der Waldarbeit schon mal den Daumen ab und sagte nichts weiter als: »Des hätt jetzt net sei müssa.« Aber bei Todesfällen zeigte er normalerweise doch eine etwas angemessenere Reaktion.
»Das ist alles, was Sie zum Tod der armen jungen Frau sagen?«, empörte sich Seifferheld. Er musste wohl laut geworden sein, denn vorn auf der Treppe drehte sich der Regisseur mit einem Stirnrunzeln zu ihm um.
»Pst!«, warnte der Ordner und fuhr flüsternd fort: »Ich hab’s doch schon vor zwei Stunden erfahren, als die Probe hier spontan angesetzt wurde. Da war ich echt erschüttert. Man hätte mich mit einer Feder umhauen können. Aber jetzt muss rasch die Zweitbesetzung eingearbeitet werden. Gleich morgen gehen die mit dem Stück auf Tour nach Ettlingen, da muss die kleine Wanetzki fit sein.«
Seifferheld sah zur Treppe. Tatsächlich. Die Formation der Schauspieler auf den Stufen kam ihm seltsam vertraut vor. Genau diese Szene hatte er am Vorabend gesehen. Links unten die Concierge (Agnes Vilenti). In der Mitte der ausladenden zweiundfünfzig Sandsteinstufen der Inspektor (Roger Reitz) neben der verängstigt kauernden Hausangestellten (eine zur textlosen Statistin umfunktionierte Tanzmaus). Rechts unten, im Halbdunkel, der Darsteller, der den Vater der toten Suzy Pommier gab (Manni Schulz). Und oben am Treppenkopf, zu Füßen von St. Michael und dem Drachen, jene goldene Badewanne, in der noch vor wenigen Stunden Salina Tressler als Suzy Pommier gelegen hatte. Jetzt stieg gerade eine andere junge Frau in die Wanne. Anders als die splitterfasernackte Salina bei der Premiere trug sie einen knallbunten Tankini. Bei der Aufführung würde das anders sein.
Ältere Schauspielerinnen fanden Nacktheit auf der Bühne meistens unangemessen. Und wenn es sie bei dem Gedanken daran nicht schüttelte, dann doch den Regisseur bei der Vorstellung, das alte Schrapnell im Evakostüm sehen zu müssen. Aber wenn man zweiundzwanzig war und einen großartigen Körper besaß, dann konnte man Nacktheit durchaus als künstlerisch notwendige, geschmackvolle und progressive Erfahrung verstehen. Der Regisseur meinte, es der Lebensechtheit und Realitätsnähe zu schulden, dass seine Darstellerinnen, wenn sie denn in eine Wanne stiegen, das nackt taten. Provozieren konnte er damit niemand mehr. Zumindest nicht in Schwäbisch Hall, wo seinerzeit schon der Jedermann seinen blanken Po der Menge zugekehrt hatte.
Seifferheld meinte, dass die hübsche junge Schauspielerin beim noch etwas unbeholfenen Hineinsteigen in die Wanne auf den Marktplatz hinunterschaute, genauer gesagt in Richtung Rathaus, noch genauer gesagt: direkt zu ihm.
Aber das ließ sich nicht mit Bestimmtheit sagen, sie war zu weit weg.
»Das muss ja hammerhart für die Kollegen sein«, sagte Seifferheld zu dem Ordner.
Der nickte, sah, wie drüben am Klosterbuckel, in Höhe des Allianz-Büros, ein Auto auf den Marktplatz fahren wollte, und lief wortlos los, um dem Störenfried – zweifelsohne ein ahnungsloser Auswärtiger – Einhalt zu gebieten.
Seifferheld stand noch eine Weile an die Rathausmauer gelehnt und schaute den Proben zu. Zwar schien die Sonne, aber es wehte ein kalter Wind. Sicher war es kein Vergnügen, jetzt im knappen Tankini die reglose Tote in der Wanne zu geben.
Irgendetwas nagte an ihm.
Nur was?
»Komm, Hund«, sagte er schließlich zu Onis und
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