Gestickt, gestopft, gemeuchelt: Kommissar Seifferheld ermittelt (Knaur TB) (German Edition)
in Untersuchungshaft, aber er wollte ins Radio?
Der Tontechniker rief: »Noch vier Minuten!«
Onis führte sein Begrüßungsritual an Euler und dem Tontechniker durch. Im Nachhinein wurde Seifferheld klar, dass Onis allen seinen Schädel in den Schritt gerammt hatte, nur der Mörderin nicht. Hunde hatten eine feine Nase!
»Herr Euler, Sie haben mir doch nur zugesagt, weil Ihre Frau nichts von der Affäre erfahren sollte.«
»Mag sein. Aber ein Mann, ein Wort. Und ich stehe zu meinen Versprechen. Außerdem brauche ich gerade jetzt gute Presse.« Euler rückte sich die Krawatte zurecht, obwohl man die im Radio nicht sehen konnte.
»Bleibt der jetzt, oder geht der?«, fragte der Tontechniker. »Sonst hole ich noch ein Mikro.«
»Er bleibt«, antwortete Euler und setzte sich auf den zweiten Stuhl.
Onis machte es sich unter dem Aufnahmetisch bequem und wurde in der Aufregung vergessen, sonst hätte man ihn wegen seiner potenziell einsetzenden Hechelatmung wieder in die Küche verbannt.
Seifferheld brauchte Kaffee. Dringend.
Er schlurfte in die Kaffeeküche, stellte zu seiner immensen Freude fest, dass dort noch eine halb volle Kanne auf der Warmhalteplatte stand, und trank in großen Schlucken direkt aus der Kanne.
Die Warmhalteplatte war nicht heiß, und der Kaffee war vom Vortag, aber egal.
Seifferheld fühlte sich gleich besser gerüstet.
»Noch eine Minute!«, rief der Tontechniker und setzte sich den Kopfhörer auf.
Koffeingestärkt nahm Seifferheld schon etwas zuversichtlicher seinen Platz ein.
»Herr Euler, wollen Sie wirklich …«, fing Seifferheld an, um dem Mann die Chance zu geben, es sich in letzter Sekunde noch einmal zu überlegen.
Doch Euler winkte ab.
»Drei, zwei, eins …« Der Tontechniker gab das Zeichen zum Start.
»Liebe Sticker«, fing Seifferheld an, ohne zu wissen, wie sein zweiter Satz lauten sollte. Der Satz kam dann aber von ganz allein. »Heute haben wir einen Gast im Studio.«
Grundgütiger, wie sollte er ihn nennen? Ein Stickbruder war er ja nicht. Ein Freund schöner Stickarbeiten? Das klang schwul.
»Euler«, stellte Euler sich in Seifferhelds Denkpause schon mal selbst vor. »Erwin Euler, Gemeinderat. Ich sticke auch!«
Ja toll, von wegen er lügt nicht, dachte Seifferheld, der kann doch die Nadel nicht vom Faden unterscheiden! Ich kann den doch jetzt nicht fragen, wie er zum Sticken gekommen ist. Verflixt und zugenäht!
»Herr Euler, willkommen! Was ist das Sticken für Sie? Was bedeutet es Ihnen?«
Euler antwortete, ohne zu zögern: »Das Sticken ist mir besonders in diesen Tagen mein größter Trost. Es gibt mir Halt in einer Phase, in der ich jeden Halt gebrauchen kann.«
Jetzt kommt’s, dachte Seifferheld weiter, jetzt kommt irgend so eine programmatische Rede, heute Nacht mit dem parteiinternen Pressefuzzi ausgearbeitet, um möglichst viel Schaden von der Partei und von Euler selbst abzuwenden. Bloß nicht!
Rasch unterbrach Seifferheld. »Äh … Herr Euler … wie sind Sie denn zum Sticken gekommen?«
Euler schaute stier geradeaus, aus dem Fenster, auf das Dach des Kocherquartiers.
»Wie Sie vielleicht wissen, liebe Zuhörer und Zuhörerinnen«, fing er stockend an, »wurde meine Frau verhaftet und des Doppelmordes angeklagt.«
Seifferheld resignierte. Heute würde es in seiner Sendung nicht ums Sticken gehen. Es war ihm egal. Ihm war alles egal. Er wählte zwar immer anders, aber wenn Euler Parteiwerbung machen wollte, dann nur zu. Seifferheld scherte es nicht. Nicht heute. Vielleicht konnte er in der noch verbleibenden Zeit seiner Sendung ein kleines Nickerchen einlegen. Seine Lider wurden schwer und schwerer.
»Meine Frau hat zwei junge, unschuldige Menschen auf dem Gewissen …« Euler schien die Stimme zu brechen. War das jetzt echt?
Seifferheld öffnete ein Auge.
Onis auch.
»Eine davon … Salina Tressler … eine blutjunge, bildhübsche …«
Eine Träne. Verdammt, eine Träne.
Euler schnüffelte. »Ich habe sie geliebt. Woher sollte ich wissen, dass meine Frau derart überreagieren würde, als sie das mit der Affäre herausfand? Vorwürfe, ja klar. Scheidung, meinetwegen. Aber gleich umbringen? Wieso hat sie das getan? Wieso? WIESO?«, schrie er dem Universum entgegen.
Der Tontechniker spielte mit irgendwelchen Reglern. Seifferheld bedeutete ihm, sofort die Sendung zu unterbrechen, Werbung einzuschieben oder den Wetterbericht.
Aber der Tontechniker ignorierte ihn. Wie sich herausstellen sollte, die beste Entscheidung seines Lebens. Die
Weitere Kostenlose Bücher