Gestohlene Leidenschaft
sobald er sie mit ihrem Vornamen anredete?
Grace riss sich zusammen. „Ihnen mag es lächerlich vorkommen, aber meine Erfahrung hat mich gelehrt, misstrauisch zu sein.“
„Handelt es sich um berufliche oder persönliche Erfahrungen?“
„Beides“, antwortete sie ausdruckslos und strich Butter auf eine Toastscheibe. Dabei spürte sie die ganze Zeit Khalis nachdenklichen Blick und ärgerte sich, zu viel verraten zu haben. Ein einziges Wort, aber sehr aufschlussreich. Nicht dass es eine Rolle spielte. Khalis brauchte nur im Internet zu recherchieren, um über sie Bescheid zu wissen. Natürlich nicht die ganze traurige Wahrheit, aber genug.
Immerhin hakte er nicht nach, sondern wechselte das Thema. „Was passiert, nachdem die Bilder katalogisiert und mit dem Verzeichnis abgeglichen sind?“, erkundigte er sich.
„Dann nehme ich mir die Gemälde vor, die offensichtlich nicht aus einem Museum entwendet worden sind, und führe erste Tests durch. Ihr Vater besaß wohl keine Unterlagen über seine Sammlung, oder?“
„Ich glaube nicht.“
„Über die meisten Gemälde von großem Wert existieren Expertisen. Ein Verkauf ohne Expertise ist so gut wie unmöglich.“
„Dann hätte mein Vater Expertisen haben müssen?“
„Ja. Zumindest von den Bildern, die nicht gestohlen sind. Die Expertisen zu den aus Museen gestohlenen Werken befinden sich höchstwahrscheinlich noch im Besitz der Museen. Wir sollten wirklich Interpol oder die Kunstraubabteilung des FBI informieren.“
„Nein.“
Sein eisiger Tonfall erinnerte Grace an Loukas’ kategorische Ablehnung ihrer Bitte, in Athen einkaufen zu dürfen. Sie hatte nur einige Sachen für Katerina besorgen wollen. Damals hatte sie nichts gesagt, und das tat sie auch jetzt nicht. Vermutlich hatte sie sich doch nicht so sehr verändert, wie sie gehofft hatte.
„Ich denke nicht daran, die Polizei hier überall herumschnüffeln zu lassen“, fügte Khalis energisch hinzu.
„Offensichtlich haben Sie etwas zu verbergen.“
„Mein Vater, ich nicht.“ Khalis stellte das sofort richtig. „Ich will erst wissen, worum es sich dabei genau handelt, bevor ich die Justizbehörden einschalte.“
„Damit Sie entscheiden können, was Sie offenlegen und was weiterhin verborgen bleiben soll?“
Sein Blick war eiskalt, als Khalis sich vorbeugte und ihr Handgelenk umklammerte. „Eins muss ich jetzt mal klarstellen: Ich bin nicht korrupt. Ich bin nicht kriminell. Unter meiner Führung wird es bei Tannous Enterprises keine illegalen Machenschaften geben. Aber ich denke nicht daran, die Zügel einem Haufen bürokratischer Polizisten zu überlassen, die wahrscheinlich nur daran interessiert sind, sich selbst zu bereichern, wie mein Vater es getan hat. Haben Sie das verstanden?“
„Lassen Sie mein Handgelenk los!“, verlangte Grace in schneidendem Tonfall. Verdutzt richtete Khalis den Blick auf ihre Hand, als hätte er gar nicht bemerkt, dass er sie umschlossen hielt. Er hatte ihr nicht wirklich wehgetan, trotzdem fühlte es sich so an.
„Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht erschrecken.“
Grace schwieg. Warum sollte sie ihm erklären, dass er sie verängstigt hatte und woran das lag?
Khalis wusste auch so Bescheid. „In ihrem Leben muss es einen Mann gegeben haben, der Ihnen sehr wehgetan hat“, mutmaßte er.
Sie erstarrte. Dann setzte sie die Kaffeetasse ab, bevor sie ihr aus der Hand glitt. „Das geht Sie nichts an“, sagte sie abweisend.
„Sie haben recht. Ich bitte nochmals um Entschuldigung.“ Er wandte den Blick ab. Als die Stille schließlich zu angespannt wurde, fragte Khalis: „Welche Tests wollen Sie durchführen?“
„Das kommt darauf an, wie das Labor ausgestattet ist“, erklärte sie. „Kunstwerke, insbesondere alte Gemälde sind sehr empfindlich. Schon wenige Minuten Sonneneinstrahlung kann zu irreparablen Schäden führen. Ich werde die Farbpigmente analysieren und Infrarotfotos machen, um zu sehen, welche Skizzen sich unter der Darstellung befinden. Mit der richtigen Ausstattung kann ich auch das Alter des Holzes bestimmen, auf dem die Bilder gemalt sind. Mit dieser Methode lässt sich recht präzise feststellen, wann ein Werk geschaffen wurde, denn fast alle europäischen Meister haben auf Holz gemalt.“
„Die beiden Bilder im kleineren Raum sind auf Holz gemalt.“
„Ja.“
„Interessant.“ Nachdenklich blickte er vor sich hin. „Einfach faszinierend.“
„Absolut.“
Als er ihr kurz zulächelte, wurde ihr bewusst, wie erfrischend
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