Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
sich als Einziger schwimmend an Land gerettet hatte.
Mamma Carlotta bekam nicht mit, dass sich der Rotwein wie eine Sturmflut in ihr Glas ergoss und den Untersetzer überschwemmte. Mit offenem Mund starrte sie Tove an. Erik hätte seine Freude an ihr gehabt, denn sie war tatsächlich für Augenblicke stumm.
»Er hat mir gesteckt, dass er Sie gestern Nacht gesehen hat. In irgendeinem Gebüsch.« Tove betätigte mit solcher Kraft den Mayonnaise-Spender, dass sein neuer Kunde, ein hungriger Lkw-Fahrer, sich nur im letzten Augenblick in Sicherheit bringen konnte. »So was erzählt der nicht noch mal!«
Mamma Carlotta wartete, bis der Lkw-Fahrer wieder weg war, beugte sich dann vor und flüsterte: »Fietje hat recht.«
Aus der Sturmflut wurde im Nu eine Flaute. Toves Gesicht glättete sich, er schluckte hart und ließ seinen kräftigen Adamsapfel tanzen. »Ist das wirklich wahr?«
Carlotta trank einen kräftigen Schluck Rotwein, dann erzählte sie Tove von Donatas Plan, etwas aus dem Haus der ermordeten Magdalena Feddersen zu holen, von der Rolle, die sie dabei gespielt hatte, und von dem Ende, das das Abenteuer genommen hatte. »Ich wollte Fietje nichts verraten und habe mich deshalb von ihm nach Hause bringen lassen.« Sie trank ihr Glas leer und sah Tove verzagt an. »Ob ich den Mord verhindert hätte, wenn ich auf meinem Posten geblieben wäre?«
»Natürlich nicht!«, gab Tove voller Überzeugung zurück. »Ein Mörder spaziert nicht munter durch die Gegend, sodass ihn jeder sehen kann. Der schleicht sich an, Sie hätten ihn sowieso nicht bemerkt.«
»Vielleicht doch. Der Mörder konnte ja nicht damit rechnen, dass ich im Garten im Gebüsch sitze.«
»Am Ende wären Sie auch noch draufgegangen«, knurrte Tove. »Seien Sie froh, dass Sie nicht mehr dort waren, als es ernst wurde. Fietje hat einen gut bei mir. Möglich, dass er Ihnen das Leben gerettet hat.«
Mamma Carlotta orderte einen weiteren Rotwein. Der Aspekt, den Tove ins Spiel gebracht hatte, gefiel ihr. Immer noch litt sie darunter, dass sie Donata im Stich gelassen hatte, und war froh über jedes Indiz, das sie entlastete.
Tove legte seine dicht behaarten Unterarme auf die Theke und kam Mamma Carlotta so nah, dass sie seinen schlechten Atem riechen konnte. Sie konnte ihn nur ertragen, indem sie die Nase ins Rotweinglas steckte.
»Also ein Doppelmörder! Hat Ihr Schwiegersohn schon einen Verdacht?«
Mamma Carlotta schüttelte den Kopf. »Aber ich«, sagte sie dann und berichtete flüsternd von Gero Fürst und Valerie Feddersen. »Meine Lucia war mit ihr befreundet, daher weiß ich, dass ihre Ehe nicht glücklich ist. Aber dass sie als verheiratete Frau ein Verhältnis eingeht – das hätte ich nicht von ihr gedacht!« Von dem Verdacht, dass ihr Schwiegersohn heimlich in Valerie Feddersen verliebt war, verriet sie allerdings nichts. Wenn sie auch gern über ihre Familie redete – über sämtliche Fehlleistungen ihrer Angehörigen pflegte sie zu schweigen. »Wie konnte Lucia sich nur mit einer so unmoralischen Person anfreunden!«
Zu ihrem großen Bedauern musste Tove sich nun um zwei Jugendliche kümmern, die nach »Pommes Schranke« verlangten. Tove schien es ebenso zu bedauern, denn er malte in größter Geschwindigkeit mit Ketchup und Mayonnaise rot-weiße Streifen auf die Pommes frites und wandte sich Mamma Carlotta wieder zu, kaum dass er kassiert hatte. »Vielleicht wird sie von ihrem Mann schlecht behandelt. Dann darf man sich nicht wundern, dass sie sich woanders ein bisschen Liebe holt.«
Carlotta schüttelte den Kopf. »Das ist noch nicht alles.«
Während sie ihren dritten Rotwein trank, erzählte sie Tove von den Vorwürfen, die Gero Fürst seiner Geliebten gemacht hatte. »Grausam hat er sie genannt. Und dass er nichts mehr mit ihr zu tun haben will.« Von den Zeitungen berichtete sie, die sie in der Küche des Schriftstellers gefunden hatte, und von seiner Behauptung, nichts von dem Mord gehört zu haben. »Und dann noch das Romanmanuskript! Da wird ein Mord beschrieben, der dem Mord an Magdalena Feddersen aufs Haar gleicht!«
»Nicht möglich!« Tove wedelte den Wunsch eines Gastes nach mehr Ketchup einfach aus der Tür.
»Carolin hat das Exposé gelesen. Nun wissen wir, wer den schrecklichen Mord begangen hat.« Prompt verfinsterte sich Toves Miene wieder. Wie immer, wenn ihm Fremdwörter vorgesetzt wurden, die er nicht kannte. »Exposé? Was soll das sein?«
Mamma Carlotta war viel zu sehr auf ihre Erzählung konzentriert,
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