Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
Zeit zum Abtropfen. Der Sud, aus dem er ihn gehoben hatte, durchweichte das Brötchen in Sekundenschnelle. Mamma Carlotta beobachtete, wie er mehrere Servietten ineinanderlegte, die hoffentlich so lange dicht halten würden, bis Fehring mit dem Fischbrötchen dort angekommen war, wo er es verzehren wollte. Vermutlich würde Tove sich sogar freuen, wenn Fehring sich auf dem Weg dorthin den hellen Sommeranzug ruinierte.
»Du schnackst dummes Zeug«, knurrte Tove. »Nur weil es dir gelungen ist, irgendwo einen Anzug zu klauen, glaubst du, du kannst deine Druckerei wieder flottmachen?«
»Kann ich«, nickte Fehring und ließ die Sektflasche, die Tove öffnete, nicht aus den Augen. »Ist der Schampus kalt genug?«
Tove knallte das Sektglas auf die Theke, das in seinem Etablissement zum Glück aus Plastik war. »Trink ihn, oder lass ihn stehen. Aber bezahl ihn!« Er bedachte Fehring mit dem Blick eines Kapitäns, der sich überlegt, ob er den aufmüpfigen Schiffsjungen verprügeln oder gleich über Bord werfen soll. »Herr Druckereibesitzer!«, fügte er spöttisch an. »Und wann soll die Geschäftseröffnung gefeiert werden? Während du im Knast sitzt, weil du dich beim Autoklauen so dämlich angestellt hast?«
»Die paar Wochen sitze ich auf einer Backe ab«, behauptete Fehring und kippte den Sekt in einem Zug hinunter. Dann griff er mit der Linken nach dem Fischbrötchen und legte mit der Rechten einen Zehneuroschein auf die Theke. »Stimmt so.«
Mamma Carlotta blickte ihm nach und beobachtete, wie Fehring sich an einen Stehtisch vor der Tür stellte, die im Sommer nie geschlossen wurde. Sie sah, wie er das Fischbrötchen zum Mund führte, wobei ihm der Heringssud auf die staubigen Schuhe tropfte. Bevor sie entschieden hatte, welches Gefühl hier angebracht war, Schadenfreude oder Anteilnahme, beugte sich Tove erneut über die Theke und tuschelte ihr zu: »Irgendwas stimmt mit dem Frettchen nicht.«
Mamma Carlotta sah ihn erstaunt an. »Was meinen Sie?«
»Der hat ein Ding gedreht.«
»Sie meinen den Autodiebstahl?«
Tove schüttelte den Kopf. »Ich meine ein Ding, was ihm richtig Kohle eingebracht hat.«
Mamma Carlotta streckte ihm wortlos ihr Geneverglas hin, das Tove ebenso wortlos füllte. Geduldig wartete er, bis sie den Gedanken, der sich soeben in ihrem Kopf formierte, in Worte kleiden konnte. So ungeheuerlich war er, dass sie ihn nicht laut aussprach, sondern nur ins Geneverglas flüsterte: »Dieser Autodieb und Valerie Feddersen müssen Komplizen sein.«
Erik konnte nicht schlafen. Das wusste er, noch ehe er sich zu Bett begeben hatte. Er war nicht müde, hatte kein Bedürfnis, sich auszuruhen, den Arbeitstag hinter sich zu lassen und für ein paar Stunden zu vergessen, was lästig, unerfreulich oder mysteriös gewesen war. Er hatte seine Pfeife ausgeklopft und sich frühzeitig zurückgezogen, um nicht mit Mamma Carlotta über Severin Dogas reden zu müssen, um sich nicht anhören zu müssen, was sie von ihm hielt, und um nicht immer wieder die Frage zu erörtern, ob Donata mit ihm glücklich gewesen war. Er würde sich in den nächsten Tagen noch oft genug anhören müssen, dass der Schauspieler gut oder unsympathisch aussah, charmant oder unhöflich, elegant oder schlecht gekleidet war und ausreichend gefühlvoll oder viel zu kühl auf den Tod seiner Frau reagierte. Mamma Carlotta würde noch lange darüber reden müssen, bis die Sensation bewältigt war, für einen leibhaftigen Star das Essen aufgewärmt zu haben.
Als im Gästezimmer wie in den Kinderzimmern Ruhe eingekehrt war, warf Erik sich den Bademantel über und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Er öffnete die Terrassentür und trat hinaus. Die Nacht war kühl, und er fror. Trotzdem blieb er eine Weile stehen, bewegte seine nackten Zehen, um die Füße zu wärmen, und wickelte sich enger in seinen Bademantel. Ob Dogas heute Ruhe finden würde? Er selbst war in der Nacht, nachdem Lucia gestorben war, bis zum Morgengrauen an der Wasserkante entlang gelaufen und hatte die Sonne angeschrien, die sich unterstand, den Tag zu wärmen, als wäre nichts geschehen. Die kichernden Jugendlichen, die ihm kurz darauf begegneten, hätte er am liebsten geohrfeigt.
Severin Dogas schien seine Gefühle besser im Griff zu haben. Er hatte auf seine tote Frau hinabgeblickt und sich so schnell abgewandt, dass in Erik die Sorge hochgeschossen war, die Tote könne jemand anders sein als Donata Zöllner. Aber im Hinausgehen hatte Dogas genickt und war dann nicht mehr
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