Getäuscht - Thriller
von Attentaten in Nordirland. Kate warf einen Blick aus dem Fenster. Die Parkbucht vor ihrem Haus war leer. »Wo haben Sie Ihren blauen Rover geparkt?«, fragte sie aus einer plötzlichen Eingebung heraus.
»Ein Stück die Straße runter. Sie sollten sich lieber etwas anziehen. Wir werden im Hauptquartier erwartet, und der Verkehr ist grauenhaft um diese Zeit.«
Kate warf dem Mann, der einfach in ihr Haus eingedrungen war, einen prüfenden Blick zu. Er war um die vierzig, groß und sehnig, mit dichtem blondem Haar, das für einen Geheimdienstmann erstaunlich leger geschnitten war. Er trug einen tadellos sitzenden dunkelblauen Nadelstreifenanzug, offenbar von der Saville Row, mit gestreifter Krawatte. Seine Kleidung deutete auf einen Einsatz in gehobenen Kreisen hin. Seine schwarzen Schuhe waren auf Hochglanz poliert. Aber das Auffälligste an ihm waren seine Augen. Sie waren von einem so intensiven Blau, dass sie beinahe überirdisch wirkten. Es waren dieselben Augen, die ihr gestern bei Oxford Analytica vom Fenster aus nachgeschaut hatten.
»Haben Sie auch einen Vornamen, Mr. Graves?«
»Ja«, sagte er. »Colonel.«
Das Hauptquartier des MI5 befand sich im Thames House, einem imposanten Gebäude am Themseufer in Millbank im Londoner Stadtteil Westminster, mit Aussicht auf die Lambeth Bridge. Graves' Büro lag im ersten Stock, auf dem gleichen Flur, auf dem sich auch das Büro des Abteilungsleiters befand. Kate, die geborene Streberin, war ehrlich beeindruckt. Das Büro lag am Ende des Flurs und war mit schicken, modernen Möbeln ausgestattet. Durch die großen Panoramafenster hatte man einen fantastischen Blick über die südliche Flussseite.
»Setzen Sie sich«, sagte Colonel Graves. »Sie wissen sicher, weshalb wir Sie hergeholt haben. Es geht um Robert Russell. Genauer gesagt, um seine Arbeit.«
»Soweit ich informiert bin, hat er nicht für den MI5 gearbeitet«, sagte Kate und setzte sich auf ein niedriges beigefarbenes Sofa, vor dem ein kleiner Tisch aus Glas und Metall mit einem überquellenden Aschenbecher und etlichen Polizeimagazinen stand.
»Das stimmt«, erwiderte Graves. »Nicht bewusst jedenfalls. Sie haben mit Ian Cairncross gesprochen. Er hat Ihnen von Russells Netzwerk erzählt. Sie wissen schon, dem Netzwerk aus Experten, die ihm Informationen über diese oder jene Angelegenheit zukommen ließen. Nun - Lord Russell war Teil meines Netzwerks. Kurz vor seinem Tod hatte er Informationen zusammengetragen, die auf einen geplanten Anschlag in London hindeuteten. Für uns ist der Mord an Russell eine Bestätigung dieser Theorie. Also versuchen wir, die Untersuchung voranzutreiben.«
»Warum haben Sie so lange gewartet?«
»Sie meinen, warum wir Russell nicht eher zum Anschlag befragt haben? Wir haben nicht genug Leute. Es gibt keinen Tag, an dem wir nicht mindestens ein paar Dutzend Hinweise auf geplante Attentate erhalten. Unsere Aufgabe ist es, die Spreu vom Weizen zu trennen.« Graves griff in seine Jackentasche und zog eine Schachtel Zigaretten heraus, die er Kate hinhielt. »Möchte Sie eine?«
Kate schüttelte den Kopf.
Graves zündete sich eine an und nahm einen tiefen Zug. »Ich müsste Sie jetzt eigentlich über Ihre Schweigepflicht belehren und Sie offiziell darum bitten, keine Einzelheiten über diesen Fall auszuplaudern. Aber wenn man Ihrem Ruf glauben darf, sind Sie sehr zuverlässig. Ich glaube, wir können auf den Papierkram verzichten, oder?«
»Wollen Sie damit andeuten, dass Five Russell ohne richterlichen Beschluss überwacht hat?«
»So in etwa.«
»Ich bin Polizistin«, sagte Kate. »Keine Verfechterin der individuellen Handlungs- und Gedankenfreiheit. Ich bin sicher, dass unsere Interessen sich ähneln.«
»Schön.« Graves griff nach einer Fernbedienung, die auf dem Beistelltisch lag, und schaltete einen Flachbildmonitor an der Wand an, einen interaktiven High-Definition-Monitor, der mit dem Zentralcomputer des Geheimdienstes verbunden war. Auf dem Monitor erschien das müde Gesicht der unscheinbaren Hausfrau, die Kate in Russells Arbeitszimmer gesehen hatte. Sie blickten schweigend auf den Bildschirm, während die Frau noch einmal über Mischa, Victoria Bear und das heimliche Treffen sprach, das heute um genau 11.15 Uhr stattfinden sollte, also in gut einer Stunde.
»Haben Sie eine Ahnung, wovon diese Frau spricht?«, fragte Kate schließlich.
»Leider nein. Allein in der russischen Botschaft gibt es hundert verschiedene Personen mit Namen Mischa, ganz zu
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