Gewitter der Liebe
auf dem Hügel war fast fertig, zumindest von außen. Julia hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, nach der Arbeit oft zum Bauplatz zu gehen. Überall dort entstanden neue Wohnhäuser; es würde später hübsch aussehen, diese lange Reihe von schneeweiß gestrichenen Häusern mit kleinen Vorgärten und zierlichen Zäunen. Im Geiste bestellte Julia bereits den dazugehörigen rückwärtigen Garten und richtete die Räume ein. Ross sollte sich so wohlfühlen, dass er gar keine Lust mehr hatte, in den zugigen Lagern zu hausen.
Auch für Nathan sah die Zukunft rosig aus. Er hatte das Grundstück mit dem Lagerschuppen gekauft und einen Architekten gefunden, der ihm ein Haus nach seinen Wünschen entwarf. Sogar Arbeiter hatte er ausfindig machen können, da er ihnen den dreifachen ortsüblichen Lohn zahlen würde. Nun galt es nur noch, darauf zu warten, dass ein Schiff von der Ostküste die Materialien brachte.
»Im Grunde genommen«, sagte er zu Julia, »hätte ich mir vor einem Jahr nicht träumen lassen, dass ich mir heute ein großes Geschäftshaus in San Francisco leisten kann. Der neue Laden wird ein viel größeres Lager haben, das wird mein Vorteil zu den anderen Geschäften sein. Bei dem Umsatz, den man heutzutage machen kann, ist ein großer Lagerraum für die Waren von unschätzbarem Wert.« Er machte eine kurze Pause. »Vor einem Jahr habe ich mir einen Planwagen und Waren besorgt, um mich dem Treck nach Kalifornien anzuschließen.«
»Und ich habe noch nichts von dem geahnt, was Lilly ausgeheckt hatte. Zwar hatte ich vom Goldfieber an der Westküste gehört, jedoch nie im Traum daran gedacht, in Kalifornien zu landen.« Lächelnd gestand sie, dass sie sich von Lilly hatte überrumpeln lassen – woher das Reisegeld stammte, erwähnte sie jedoch nicht. »Ich bin mitgegangen, weil ich nichts zu verlieren hatte. Und die Aussicht, mehr Geld zu verdienen, war einfach zu verlockend.«
»Ihr habt das Richtige getan«, bestätigte ihr Nathan. »In New York hättet ihr weiterhin für einen Hungerlohn in der Fabrik geschuftet.«
»So erging es meinen Eltern. Sie kamen mit großen Hoffnungen nach Amerika, weil sie gehört hatten, dass es hier Arbeit und billiges Land in Hülle und Fülle geben sollte. Sie verließen ihre Heimat, um ein besseres Leben führen zu können.«
Aufmerksam lauschte Nathan. »Ich war noch nie an der Ostküste, doch auch zu mir ist vorgedrungen, dass sehr viele Einwanderer in einer der Fabriken landen, in denen sie ausgenutzt werden. Das Geld für die Rückfahrt in die Heimat haben sie nicht, sodass sie gezwungen sind, für ein paar Dollar im Monat für die feinen Herren zu schuften. Aber auch Männern wie mir wurde es nicht leicht gemacht. Der kleine Laden, den ich betrieb, warf gerade genug ab, um zu überleben. Ich musste alles verkaufen, um Waren für Kalifornien ordern zu können. Was hat eigentlich Ross gemacht, bevor er sich dem Treck anschloss?«
Beschämt musste Julia gestehen, dass sie es nicht genau wusste. »Er hat mit den Hofman-Brüdern auf einer Farm gearbeitet, das erzählte er mir nach unserem Kennenlernen. Ob er einen Beruf gelernt hat, so wie Josh, weiß ich nicht.«
»Und seine Familie?«
»Wir haben kaum darüber gesprochen«, gab sie zu. »Dass ich keine Familie mehr habe, weiß er allerdings.«
Nathan ließ sich seine Verwunderung nicht anmerken. Gehörte es sich nicht für einen Mann, der Frau, die man heiraten wollte, seine Familiengeschichte zu erzählen? Doch er wollte sie nicht verunsichern und wechselte daher das Thema, indem er ihr von seinem Bauvorhaben erzählte.
Kurz bevor sich Ross von den Goldfeldern zurückmeldete, brannte es erneut in der Stadt. Wieder hatten Unbekannte nachts in einer Geschäftsstraße Feuer gelegt; und obwohl die neu gegründete Feuerwehr schnell zur Stelle gewesen war, hatte sie nichts mehr retten können.
Dass nicht nur Geschäftsleute von der Brandstiftung betroffen war, zeigte sich daran, dass auch immer wieder Wohnstraßen in Flammen standen. Die Bewohner trauten sich nachts oft nicht zu schlafen, aus Angst, ihnen könnte das Dach über dem Kopf angezündet werden. Es wurde eine Bürgerwehr gegründet, die nachts die Straßen kontrollierte, und viele schafften sich scharfe Wachhunde an – trotzdem ging die Angst in San Francisco um.
Auch Julia ängstigte sich, denn von den Bränden konnte jeder getroffen werden. Ross teilte ihre Ängste, meinte jedoch, dass sich die Burschen nicht so nah an den Hafen wagen würden.
Diesmal
Weitere Kostenlose Bücher