Gezeiten der Begierde - Jordan, N: Gezeiten der Begierde - To tame a dangerous lord/Courtship-Wars 5
kann nicht sagen, was schockierender ist, Maman, Havilands Umwerbung … oder mein Sehnen, ihr nachzugeben.
Madeline fand an einem sehr ungewöhnlichen Ort Zuflucht vor ihrem kurzen Anfall von Melancholie: im Kinderzimmertrakt.
Der größte Raum war offenbar zuletzt für den Hausunterricht genutzt worden, den kleinen Pulten und Lesebüchern auf den Regalen nach zu urteilen. Nebenan waren Kinderschlafzimmer sowie eines für eine Erwachsene – wahrscheinlich das Kindermädchen oder die Gouvernante. Alle Zimmer waren frisch renoviert, und in einem stand sogar eine neue Wiege, wie Madeline sah. Ihr fiel wieder ein, dass Arabella sagte, sie würde ihr erstes Kind im kommenden Frühjahr erwarten.
Als Madeline in den Unterrichtsraum zurückkehrte, stellte sie ihre Kerze auf einen Tisch und ging zum Fenster, das sie einen Spalt weit öffnete, um frische Luft hineinzulassen.
Der Raum rief Erinnerungen an ihr Kinderzimmer zu Hause wach, als ihre Mutter noch lebte. Sie hatten wundervolle Zeiten zusammen … Maman , die Gerard und sie lehrte zu lesen, zu rechnen und die Länder auf dem Globus zu finden, in denen Papa gerade war.
Nun waren ihre Eltern beide nicht mehr, ihr Bruder war verheiratet und begann ein neues Leben, in dem sie nicht vorkam. Sie musste ihre Zukunft selbst meistern, ganz allein auf sich gestellt.
Madeline sank auf die gepolsterte Fensterbank und blickte hinaus in die mondhelle Nacht. Dort unten, jenseits des Gartens, war die Themse. Die Gerüche hier erinnerten Madeline an zu Hause, denn ihre Farm lag am Chelmer River. Allerdings war daheim nie Musik zu hören gewesen, wie jetzt aus dem Ballsaal unten.
Auf den Ball zu gehen, war ein Fehler gewesen, hatte es Madeline doch nur niedergeschlagen gemacht. Sie war besser fernab von dem Trubel aufgehoben, wo sie sich einreden konnte, dass sie nicht bemerkte, wie die besten Jahre ihres Lebens ereignislos verstrichen.
Dabei wollte sie nie wie die flatterhaften jungen Damen mit ihren modischen teuren Kleidern und den raffinierten Frisuren sein.
Wäre sie indes eine von ihnen, sähe Haviland sie vielleicht in einem anderen Licht. Könnte sie sich solche Kleider erlauben und eine Zofe, die ihr das Haar aufsteckte …
Hör sofort auf damit , schalt Madeline sich verärgert. Es war unsinnig, ihre Umstände zu bejammern.
So unsinnig wie die Sehnsucht nach eigenen Kindern, die eine Kinderstube wie diese füllten, denn sie würde einzig aus Liebe heiraten, und dass sie einen Mann fand, den sie liebte und von dem sie geliebt wurde, war in ihrem Alter und ihrer Situation höchst unwahrscheinlich.
»Ich weiß, Maman , wenn Wünsche Pferde wären, könnten Träumer reiten. Und ich bin auch ohne Pferd zufrieden.«
»Hier verstecken Sie sich also.«
Madeline erschrak, als sie Havilands tiefe Stimme hörte, sprang auf und drehte sich zu ihm. Bei seinem Anblick stockte ihr der Atem.
Er hatte eine kleine Lampe bei sich, deren goldener Schein die weiße Krawatte im Kontrast zu seinem gebräunten Teint und den schwarzen Haaren zum Leuchten brachte.
Zunächst blickte er sich im Raum um, ehe seine blauen Augen auf ihr verharrten und er weiter hereinkam. »Haben Sie mit jemandem gesprochen?«
Sie wurde rot. Auf keinen Fall würde sie ihm gestehen, dass sie oft mit ihrer verstorbenen Mutter sprach. »Bisweilen spreche ich meine Gedanken laut aus«, murmelte sie.
Ihm schien die Erklärung zu genügen. Er stellte seine Lampe zu ihrer Kerze auf den Tisch und kam zu ihr.
»Sie enttäuschen mich, Miss Ellis. Ich gab Ihnen explizit den Auftrag, mich vor der Horde von Debütantinnen zu retten, aber Sie überließen mich ihnen wehrlos.«
Sein Tonfall war unbeschwert, beinahe neckend, doch Madeline konnte nichts erwidern. In seiner Nähe setzte ihr Verstand aus.
»Sie schienen keiner Rettung zu bedürfen«, brachte sie schließlich heraus.
»Oh, der bedurfte ich sehr wohl.« Er neigte den Kopf zu den Pulten. »Die Kinderstube? Welch eine interessante Wahl für ein Versteck.«
Seine Bemerkung machte sie verlegen. »Ich verstecke mich nicht.«
»Nein? Warum sind Sie dann hier? Weil Sie nicht nach der neuesten Mode gewandet sind?« Er musterte ihr lavendelblaues Kleid. »Ich würde sagen, Sie sind vollkommen adäquat gekleidet.«
Madeline hatte immer noch Mühe zu atmen, zwang sich aber, nicht dumm und schweigend dazustehen. »Wie ich Ihnen bereits sagte, kann ich Bällen im Allgemeinen nicht viel abgewinnen.«
»Ich auch nicht. Mir missfallen die Fallstricke und
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