Gezeiten der Sehnsucht - Feehan, C: Gezeiten der Sehnsucht - Dangerous Tides (4 - Libby)
Zeit, und dein Haar besitzt immer noch diesen Glanz, und du lachst immer noch ständig, wenn du mit deinen Schwestern zusammen bist.«
Libby fühlte sich plötzlich so wacklig auf den Füßen, dass sie einen Moment lang glaubte, der Boden hätte sich unter ihr bewegt. Gerade noch war sie bereit gewesen, ihn mit einer Rakete auf den Mars zu schießen, und jetzt musste er so etwas sagen. »Du hast uns als Prinzessinnen angesehen?«
»Jeder sieht euch als Prinzessinnen an.«
»Ach ja, richtig. Genau das muss sich Irene auch gedacht haben, als sie mir ihre Handtasche über den Schädel gezogen hat. Elle hat mir erzählt, sie hätte ihre helle Freude daran gehabt, auf mich einzuschlagen.« Belustigung schlich sich in ihre Stimme ein.
Diese Andeutung eines Lachens verblüffte ihn. Sie waren
immer unbeholfen miteinander umgegangen. Sein Mund wurde weicher, und seine Lippen begannen, sich zu einem Lächeln zu verziehen, doch dann wurde ihm bewusst, was sie gesagt hatte. Wieder einmal brachte er sie abrupt zum Stehen, zog ihr die dunkle Brille vom Gesicht und sah ihr direkt in die Augen. »Du erinnerst dich nicht daran, dass sie dich mit ihrer Handtasche geschlagen hat? Deine Schwester musste es dir erzählen? Hattest du eine Gehirnerschütterung? Verdammt noch mal, Libby, das hättest du mir sagen sollen. Unter diesen Umständen solltest du stillsitzen und nicht mit mir spazieren gehen.«
»Mir fehlt nichts. Und ich will nicht darüber reden.« Sie nahm ihm ihre Sonnenbrille aus der Hand, setzte sie wieder auf ihre Nase und sah ihn finster an.
Ty verspürte den ganz eigentümlichen und beunruhigenden Drang, sich vorzubeugen und den finsteren Blick von ihrem Gesicht zu küssen. Er zögerte, denn er wollte sie nicht noch mehr verärgern, doch er erwog, ob er versuchen sollte, darauf zu bestehen, dass sie sich wieder auf ihren Stuhl setzte.
»Wenn du mit mir redest, schwingt entweder eine Spur von ätzender Missbilligung in deiner Stimme mit oder du siehst mich finster an«, sagte er stattdessen. Er strich mit seinem Daumen über ihre Lippen, als könnte er diesen Gesichtsausdruck ausradieren. Ihr Atem fühlte sich warm auf seiner Haut an, und ihre Lippen waren weich. Sein Magen zog sich zusammen, und seine Lenden regten sich spontan.
»Das stimmt doch gar nicht«, leugnete Libby, aber sogar sie selbst hörte ihren missbilligenden Tonfall. »Was erwartest du denn, wenn du so mit mir umgehst?« Sie musste sich von ihm losreißen. Diese zarte Berührung, die eigentümlich intim war, ließ ihren Puls rasen. Verflucht noch mal, sie war zu alt, um sich wie ein albernes junges Ding zu benehmen, bloß weil er echt phantastisch aussah.
»Wie gehe ich denn mit dir um?«
Jetzt wirkte er belustigt, und sie biss die Zähne zusammen.
»Bist du nur hergekommen, um mich verrückt zu machen?« Sie unterdrückte ein Stöhnen und das Bedürfnis, sich die Hände vors Gesicht zu schlagen. Es gelang ihm immer wieder, dass sie sich binnen fünf Minuten wie eine Idiotin vorkam. Sie konnte seine Körperwärme fühlen, aber vielleicht war es auch ihre eigene. Ihre Temperatur stieg eindeutig. Er hatte ganz entschieden die Anlagen zum bösen Buben, wogegen Libby, wenn sie sich auch noch so sehr anstrengen mochte, nicht die Anlagen zum bösen Mädchen besaß.
»Mache ich dich verrückt?« Er schien erfreut zu sein.
Diesmal nahm sie selbst ihre Brille ab, um ihn wütend anzufunkeln. »Du tust es absichtlich, stimmt’s?«
Sein Lächeln faszinierte sie. Ihr war gar nicht klar gewesen, dass er lächeln konnte. Die meiste Zeit wirkte er konzentriert oder so überheblich, dass sie kein Wort dafür fand. Nachdem sie jetzt sein Lächeln gesehen hatte, war sie nicht mehr zu retten. Libby setzte ihre Brille wieder auf und bemühte sich, sein Aussehen zu missachten. Reine Äußerlichkeiten, etwas ganz Oberflächliches. Sie war doch kein oberflächlicher Mensch, oder? Besonders nett war er nämlich nicht gerade.
Er nahm ihre Hand und setzte sich wieder in Bewegung, um mit ihr über den Strand zu den Gezeitentümpeln zu laufen, ohne vorher ihre Frage zu beantworten. Er brachte sie gründlich aus dem Gleichgewicht, und statt die Kontrolle an sich zu reißen und dieser Situation ein Ende zu bereiten, stellte Libby fest, dass sie gern mit ihm spazieren ging. Sein stämmiger Körper gab ihr das Gefühl, ganz Frau zu sein, und auch das war etwas, was sie ihren Schwestern gegenüber nicht zugeben würde. Sie war niemand, der Händchen hielt. Sie konnte sich
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