Gezeiten des Krieges
angeforderte Leihgabe von McCarron's Armored Cavalry. Die Piloten konnten nicht wissen, dass dieser Befehl nicht von ihm kam, und Mai sah keine Notwendigkeit, sich mit Evan darüber zu streiten, wer sie kommandierte, nachdem er so weit mitgekommen war. Er schwieg.
Evan würde ihr Leben nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Oder zumindest nicht unnötig.
Der Sprint überflog noch ein paar kleinere Bergkuppen, dann näherte er sich einem kleinen Berghof, der sich einzig und allein durch die am Hang stehende Scheune von allen anderen in der Gegend unterschied. Mai hatte nur einen kurzen Blick für sie übrig, dann sah er zurück aufs Armaturenbrett, als der Ortungsalarm gellte. Jemand visierte sie mit mehreren militärischen Zielerfassungsgeräten an! Trotzdem sah Mai keine Bewegung, weder bei der Scheune, noch im Bauernhaus oder an den Hängen.
Evan beugte sich vor und nahm den Piloten gelassen beim Arm. Er deutete auf ein gerodetes Stück Boden nahe der seltsam platzierten Scheune. Der Pilot ging vorsichtig tiefer, ohne irgendein Manöver, das man für eine Drohung hätte halten können, bis die Landekufen auf ein braun bemaltes Betonfeld aufsetzten, das wirklich gut getarnt war. Aus der Luft fügte es sich hervorragend in das Grasland mit Flek-ken aus Erde und blankem Stein ein.
»Ein seltsamer Ort für eine Ijori-De-Guäng-Zelle«, bemerkte Mai lediglich, als er die Gurte löste und den Helm absetzte. »Gibt es hier draußen viel Militäraktivitäten?«
Evan folgte ihm aus der Passagiertür des Helikopters, und sie duckten sich, um den sich noch immer wirbelnden Rotorblättern auszuweichen. »Nicht Ijori De Guäng«, berichtigte er. »Das ist die Festung des Liao-Kults.«
Mai blieb etwas Zeit, sich das durch den Kopf gehen zu lassen, während die beiden Männer zu der verwitterten grauen Scheune hinüber gingen. Der Liao-Kult. Die politische Bewegung, die die Rückkehr der Konföderation unterstützte. Evan hatte offensichtlich mit dem Kult zu tun, sonst hätte er keinen Militärhubschrauber in das geschützte Tal bringen können. Aber hatte er seine Worte bewusst gewählt, als er von der Festung sprach? Nur eine? Mai Uhn Wa war immer von einem Zellensystem ausgegangen, ganz ähnlich dem, das er beim Aufbau vom Licht Ijoris benutzt hatte. Militärisch war das sinnvoll. Woraus folgte: »Es ist kein paramilitärischer Orden.«
»Wie eng bist du mit dem Kult verbunden?«
»So tief man nur sein kann.« Evan zögerte, dann setzte er hinzu: »In jener Nacht wollte ich es Ihnen eigentlich sagen.«
Es war nicht nötig, näher auszuführen, von welcher Nacht Evan sprach. Es war die Nacht, in der Mai Uhn Wa Evan, Gregori und die ganze Organisation im Stich gelassen hatte. Die Nacht, in der er
Liao verlassen hatte, um sich für seine Verbrechen gegen den Staat zu verantworten.
Mai Uhn Wa verspürte einen Hauch von Traurigkeit und auf gewisse Weise auch Enttäuschung. Als er Evan kennen gelernt hatte, hatte der junge Student nach etwas gesucht, was die Leere in seinem Leben füllen konnte. Seine Eltern waren kurz nach der Nacht der Schreie umgekommen und er war als Staatsmündel aufgewachsen. Mai hatte die Sehnsucht in ihm gespürt, Teil von etwas Größerem zu sein, und er hatte Evans ungeheure Fähigkeiten erkannt. Er war eine geborene Führungspersönlichkeit. Er hatte Evan selbst auf diese Rolle vorbereiten wollen und war stolz gewesen, den Weg auch ohne ihn eingeschlagen zu haben.
Aber ein Kult? Mai hatte in Evan einen Anführer gesehen, keinen Jünger.
»Eine zivile Organisation«, fragte Mai, ohne seine Gefühle zu verraten. »Ist sie unsere Zeit gerade jetzt wert?«
»Er ist sie wert«, versprach Evan. Er. Mai würde den Anführer des Kultes kennen lernen.
Sie hatten die Scheune fast erreicht. Vom Boden aus wirkte sie noch deutlich ungewöhnlicher als aus der Luft. Das Gebäude war teilweise in den Berghang hineingebaut, ähnlich dem Eingang eines Bergwerks, und war grau mit dunkleren Streifen angemalt, um den Eindruck von verwittertem Holz zu erwecken. Ein Torflügel stand auf und schwang unbeachtet im eisigen Wind, der durch das Tal fegte.
Mai erwartete einen kahlen Boden mit einem zerbrechlichen Tisch ohne Stühle, um den sich ein paar Fanatiker im Kerzenlicht trafen, um vom Umsturz zu flüstern. Und in den Berg gebaut? Eine Zuflucht.
Das Militär würde mindestens zwanzig Minuten brauchen, um sie auszuräuchern.
Mai folgte Evan in die auf einem Beton errichtete Scheune und blieb ehrfurchtsvoll vor
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