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Gezeitengrab (German Edition)

Gezeitengrab (German Edition)

Titel: Gezeitengrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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Solche Anspielungen verstand er selten.
    «Wie geht es dir, Ruthie?» Er stand auf und umarmte sie. Und Ruth erinnert sich bis heute, wie sehr sie diesen Moment trotz allem genossen hat, wie schön es war, an diesem kühlen, farnduftenden Abend mit Erik allein zu sein.
    Bei näherem Hinsehen wirkte Erik müde, seine Haut schien schlaff, und die legendären blauen Augen waren rot vor Erschöpfung.
    «Ist alles in Ordnung mit dir?», fragte sie ihn.
    «Ist denn mit irgendwem von uns alles in Ordnung?», fragte er zurück. Jetzt, wo sie darüber nachdenkt, hat Cathbad seine Kommunikationsstrategie wahrscheinlich ursprünglich von Erik gelernt.
    «Ich mache mir Sorgen um Tatjana.»
    Und Erik antwortete: «Die arme Tatjana. Sie wird keine Ruhe finden, bis sie ihn begraben kann.»
    Ruth hatte ihm nichts erzählt, aber er hatte es dennoch gewusst.

[zur Inhaltsübersicht]
    26
    Nelson und Clara fahren schweigend durch das verschneite Moor. Ein-, zweimal meldet sich der Polizeifunk zu Wort, doch Nelson ignoriert ihn. Clara schaut aus dem Fenster und behandelt ihn, als wäre er ein Taxifahrer – oder ihr Vater. Als sie an der Straße nach Broughton Sea’s End sind, fährt Nelson in eine Parkbucht.
    Clara blickt auf. «Was …?»
    Nelson zieht das kleine ledergebundene Buch aus der Tasche.
    «Gehört das Ihnen?»
    Es ist fast schon komisch, wie rasch sich Claras Miene verändert. «Das ist meins!», faucht sie. «Sie hatten kein Recht, das mitzunehmen.»
    «Passen Sie mal auf, Clara», sagt Nelson. «Ich kann mir auch einen Durchsuchungsbefehl besorgen und Ihr ganzes Zimmer auf den Kopf stellen. Wollen Sie das?»
    «Das würden Sie nicht wagen», erwidert Clara. Doch ihre Miene hat sich erneut verändert, sie blickt wachsamer.
    «Natürlich würde ich das wagen», meint Nelson. «Das ist schließlich eine Mordermittlung und kein albernes Kinderspiel.»
    Clara versucht, nach dem Tagebuch zu greifen, doch Nelson hält es außerhalb ihrer Reichweite.
    «In diesem Tagebuch schreiben Sie, dass Sie Dieter Eckhart hassen und ihn umbringen wollen.»
    «Das habe ich nie geschrieben!»
    «Soll ich es Ihnen vorlesen?»
    Clara hält die Hand vor den Mund, wie um sich am Weiterreden zu hindern, und Nelson registriert, dass ihre Fingernägel ganz abgekaut sind.
    «Wann haben Sie erfahren, dass Dieter verheiratet war?»
    Clara gibt keine Antwort.
    «War sicher ein ganz schöner Schlag herauszufinden, dass Ihr Freund verheiratet ist und Kinder hat.»
    Schweigen.
    «Was wohl Ihre Eltern dazu sagen würden?»
    Das wirkt. Claras Unterlippe beginnt zu zittern. «Sagen Sie’s ihnen nicht.»
    «Clara.» Nelson versucht es mit einem sanften, Judy-ähnlichen Ton. «Haben Sie Dieter umgebracht?»
    «Nein!» Clara fährt hoch, und ihr Zorn kehrt zurück.
    Nelson angelt eine Plastiktüte vom Rücksitz, einen durchsichtigen Gefrierbeutel aus Ruths Archäologenausrüstung. Darin ist die Schere.
    «Ist das Ihre?»
    Clara starrt auf die Plastiktüte, als könnte sie ihren Augen nicht trauen.
    «Clara.» Noch sanfter. «Gehört diese Schere Ihnen?»
    Clara schüttelt den Kopf, und ihre Stimme klingt wie die eines kleinen Kindes. «Ich hab sie mir von Grandma geliehen. Die benutzt sie immer für die Gartenarbeit.»
    «Wann haben Sie sie geliehen?»
    «Weiß ich nicht mehr. Vor ein paar Wochen.»
    «Und was wollten Sie damit?»
    «Ein Schnittmuster ausschneiden. Dieter hatte mich zu einem Ball an der Uni eingeladen. Ich wollte mir ein schönes Kleid nähen.» Tränen treten ihr in die Augen.
    «Dann nähen Sie also viel?»
    «Ja, ich nähe viel, wenn’s recht ist.» Die Tränen werden wieder zu Zornestränen. Sie wischt sie mit dem Handrücken weg.
    «Clara …» Nelson weiß, dass er es nicht übertreiben darf. Es bleibt noch Zeit genug, mit ihr zu reden, falls die Schere irgendwelche Hinweise hergibt. Wenn er sie jetzt zu sehr drangsaliert, ganz allein, ohne eine Kollegin, legt sie am Ende noch Beschwerde gegen ihn ein und gefährdet damit die ganze Ermittlung.
    «Falls Sie mir noch etwas zu sagen haben», meint er, «dann wissen Sie ja, wo ich bin.»
    Clara wirft ihm einen verächtlichen Blick zu. «Ja. Klar. Könnten Sie mich jetzt vielleicht nach Hause fahren?»

    Nachdem er Clara vor Sea’s End House abgesetzt hat, fährt Nelson auf direktem Weg nach Hause. Michelle hat es mit Fassung getragen, dass er am Abend zuvor nicht heimgekommen ist – sie hat ja selbst gesehen, wie das Wetter war. Aber sie wird bestimmt alles andere als begeistert sein,

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