Gezinkt
zurück. Boyle öffnete sein Notizbuch und holte einen Kugelschreiber hervor. Boyle wog zwanzig Kilo mehr als der Gefangene, das meiste davon Muskeln. Dennoch legte er den Kugelschreiber außer Reichweite des Mannes.
Jedenfalls, kurz und gut ...
»Ich suche seit fast einem Monat darum nach, Sie sehen zu dürfen«, sagte Boyle freundlich. »Sie haben einem Treffen bis jetzt nicht zugestimmt.«
Die Urteilsverkündung würde am Montag stattfinden, und nachdem der Richter eines der beiden Urteile, über die er in diesem Augenblick nachdachte, ausgesprochen hatte – lebenslänglich oder Hinrichtung mittels Giftspritze -, würde James Kit Phelan auf Dauer aus der Gastfreundschaft des Countys in die des Staates wechseln.
»›Treffen‹«, wiederholte Phelan. Er schien amüsiert. »Trifft es ›Vernehmung‹ nicht eher? Das haben Sie doch im Sinn, oder?«
»Sie haben gestanden, James. Warum sollte ich Sie vernehmen wollen?«
»Keine Ahnung. Wieso haben Sie – wie oft? – mindestens ein Dutzend Mal meinen Anwalt angerufen, weil Sie mich ›treffen‹ wollten?«
»Nur wegen einiger Punkte, die noch nicht ganz abgeschlossen sind bei dem Fall. Nichts Wichtiges.«
Tatsächlich hielt Boyle seine Aufregung sorgsam verborgen. Er hatte sich schon fast verzweifelt gefragt, ob er jemals Gelegenheit erhalten würde, von Angesicht zu Angesicht mit Phelan zu reden. Je länger die Anfragen des Captains unbeantwortet blieben, desto mehr verstimmte es ihn, dass er nie erfahren würde, was er so unbedingt wissen wollte. Heute war Samstag, und er hatte vor einer Stunde gerade Truthahn-Sandwichs für ein Picknick mit der Familie eingepackt, als der Anruf von Phelans Anwalt gekommen war. Er hatte Judith und die Kinder vorausgeschickt und war mit hundertfünfzig Sachen zum Bezirksgefängnis gerast.
Nichts Wichtiges ...
»Ich wollte Sie bis jetzt nicht sehen«, sagte Phelan langsam, »weil ich dachte, Sie wollen sich vielleicht nur, na ja, an meinem Anblick weiden.«
Boyle schüttelte gutmütig den Kopf. Aber er räumte ein, dass er durchaus Grund zu hämischer Freude gehabt hätte. Wenn einem Mord keine unmittelbare Verhaftung folgte, wurde der Fall zu einer bitteren Sache und nahm einen persönlichen Charakter an. Morddezernatsleiter Boyle gegen den flüchtigen, unbekannten Täter.
Der Wettstreit zwischen den beiden Gegnern hatte in der Boulevardpresse und in der Polizeidirektion getobt und – was wichtiger war – in Boyles Kopf. Hinter Boyles Schreibtisch klebte immer noch eine Titelseite der Post an der Wand; von der rechten Seite blickte der dunkelhaarige und dunkelhäutige Boyle finster in die Kamera, auf der linken war ein Phantombild des Polizeizeichners von Anna Devereaux’ Mörder zu sehen. Zwischen den Bildern prangte ein fettgedrucktes, schwarzes »vs.«, und das Foto des Detectives war das weitaus furchteinflößendere der beiden.
Boyle dachte an die Pressekonferenz, die er auf den Tag genau sechs Monate nach dem Mord abgehalten hatte, und in der er der Bevölkerung von Granville versprach, auch wenn die Ermittlungen stecken geblieben seien, würden sie die Hoffnung nicht aufgeben, und der Mörder würde gefasst werden. »Dieser Mann wird nicht davonkommen«, hatte Boyle geschlossen. »Es gibt nur ein denkbares Ergebnis in dieser Angelegenheit, und es wird kein Remis sein, sondern ein Schachmatt.« Die Aussage – die einige Monate später zu einer peinlichen Erinnerung an sein Versagen wurde – war endlich doch noch bestätigt geworden. Und in den Schlagzeilen der Artikel über Phelans Verhaftung hieß es natürlich: SCHACHMATT!
Früher einmal hätte Boyle hochmütig über die Vermutung gespottet, er würde sich an einem gefallenen Gegner weiden wollen. Nun aber war er nachdenklich. Phelan hatte ohne erkennbaren Grund eine wehrlose Frau getötet und sich fast ein Jahr lang dem Zugriff der Polizei entzogen. Es war der schwerste Fall, den Boyle je geleitet hatte, und er war viele Male daran verzweifelt, ob er den Täter finden würde. Aber er hatte gewonnen, bei Gott. Deshalb existierte vielleicht wirklich ein Teil von ihm, der hier war, weil er seine Trophäe begutachten wollte.
... Ich habe sie getötet... Und mehr habe ich nicht zu sagen.
»Ich möchte Ihnen nur ein paar Fragen stellen«, sagte Boyle. »In Ordnung?«
»Darüber reden? Von mir aus. Aber es ist irgendwie langweilig. Ist das nicht die Wahrheit über die Vergangenheit? Dass sie langweilt?«
»Manchmal.«
»Das ist keine sehr gute Antwort. Die
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