Ghost Street
ein Liebespaar und gab ihnen einen durch Grünpflanzen abgetrennten Tisch. Sie bestellten Pizza und den roten Landwein, den der Wirt empfahl. Als sie einander zuprosteten, erröteten sie erneut. Jeder wollte etwas sagen und beide brachten nur Gestammel hervor.
»Tut mir leid«, sagte sie noch einmal. »Ich hab noch nie jemanden über den Haufen gefahren. Nur als kleines Mädchen, mit dem Fahrrad, da kannte ich keine Gnade. Ich bekam immer Stubenarrest, wenn ich einer meiner Freundinnen ins Rad gefahren war … oder einem meiner Freunde.«
»Sie hatten bestimmt viele Freunde«, sagte er. Es klang gar nicht wie ein Kompliment, eher wie eine nüchterne Feststellung. »Sie waren sicher als Kind schon sehr hübsch. Und jetzt … jetzt sehen Sie wirklich toll aus.«
»Na ja«, überspielte sie ihre Verlegenheit. Sie griff sich an die nassen Haare. »Wenn ich gewusst hätte, dass ich heute noch mit einem Mann ausgehe, hätte ich mir eine andere Frisur zugelegt. Mit dem Pferdeschwanz sehe ich etwas … etwas zerzaust aus.«
»Natürlich … eher natürlich.«
Seine aufrichtige Art irritierte sie. Die Männer, mit denen sie bisher ausgegangen war, einschließlich Mike, hatten ihr auch Komplimente gemacht, sich meist sogar besser ausgedrückt und Prinzessinnen und Elfen bemüht, um ihr Aussehen zu rühmen, nur berührten sie die einfachen Worte dieses Mannes sehr viel tiefer, vor allem, weil sie spürte, dass er es ehrlich meinte.
»Was machen Sie so den ganzen Tag?«, fragte sie. Er hatte seine Jacke abgelegt und saß in einem blauen T-Shirt vor ihr. »Sind Sie Student?«
Er lächelte auf seine sanfte Art. »Ich sehe nur so aus. Nein, ich …« Er wusste wohl nicht, wie er sich ausdrücken sollte. »Ich recherchiere … ich forsche.« Sein Lächeln verstärkte sich. »Ich wühle in der Vergangenheit herum.«
»Wie ein Detektiv? Ein Reporter?«
»So ähnlich.« Mehr war er nicht bereit zu sagen. »Und Sie? Lassen Sie mich raten: Sie sehen wie eine erfolgreiche Geschäftsfrau aus. Obwohl … BMW fahren eigentlich nur Anwältinnen.«
Sie musste lachen. »Ja, das habe ich auch schon gehört. Ich bin Staatsanwältin. Eigentlich hätten Sie mich an meinem Kostüm erkennen müssen. So was tragen die Staatsanwältinnen in Law & Order auch. Ist so was wie eine Uniform.«
» Law & Order ?«
»Die Fernsehserie. Sagen Sie bloß, Sie haben noch nie eine Folge gesehen? Die läuft schon länger als damals Rauchende Colts .«
»Die Westernserie? Die kenne ich. Marshal Matt Dillon aus Dodge City im Kampf gegen alles Böse dieser Welt.«
»Ist aber vierzig Jahre her.«
Er lächelte verlegen. »Wie gesagt, ich stochere gern in der Vergangenheit herum. Ah, da kommt die Pizza!«
Der Wirt servierte die Pizza, genau so, wie David sie beschrieben hatte, und er machte sich hungrig darüber her. Alessa aß etwas langsamer und wiederholte dabei in Gedanken seine Worte. »Ich recherchiere, ich stochere in der Vergangenheit herum.« War er Assistent an der Uni? Oder gar Journalist?
»Staatsanwältin«, wiederholte er zwischen zwei Bissen. »Dann haben Sie bestimmt mit dem Mord an Angie Rydell zu tun. Die Frau, die heute Morgen aus dem Savannah River …« Er hielt inne und blickte sie erstaunt an. »Im Fernsehen hieß es, eine Staatsanwältin habe die tote Frau aus dem Fluss gezogen. Hey … das waren Sie!«
»Ja, das stimmt.« Sie hatte plötzlich einen Verdacht. »Sind Sie etwa Journalist? Wollen Sie mich aushorchen?«
Er legte seine linke Hand auf ihren Unterarm, und sie ließ es geschehen, empfand sogar ein leichtes Kribbeln dabei. »Zu so miesen Tricks würde ich niemals greifen, es sei denn … es sei denn, ich hätte jemanden vor mir, der was verbrochen hat. Aber Sie haben recht, ich war Journalist. Ist eine Weile her. Jetzt recherchiere ich nur noch.«
»Und was recherchieren Sie so?« Sie schob sich ein Stück Pizza in den Mund. »Den Mord an Angela Rydell?«
»Alles Mögliche«, erwiderte er. »Das Meiste liegt schon einige Jahrzehnte zurück. Wenn überhaupt, dann den Mord an Helen Rydell. Die Morde, die Jeremy Hamilton und der Ku-Klux-Klan begangen haben. Eine furchtbare Zeit war das damals. Für einen Neger war es schon gefährlich, eine weiße Frau nur anzusehen. Der Klan kannte kein Erbarmen, wenn es um so etwas ging.«
»Afroamerikaner«, verbesserte sie ihn. »Sagen Sie bloß nicht Neger, sonst muss ich Sie noch festnehmen.«
»Zu meiner Zeit … ich meine in den Sechzigerjahren gab es gar kein anderes Wort. Außer
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