Ghost Street
Sie antwortete mit einem schwachen Lächeln, wie Stabler es sicher von ihr erwartete, wurde aber gleich wieder ernst. »Ich habe dort ganz andere Sachen gesehen, Lieutenant.« Sie berichtete von dem weißen Kreuz auf Helen Rydells Grabstein. »Ein christliches Kreuz, wie man es neben den Namen eines Toten setzt. Es galt sicher nicht Helen.«
»Angela Rydell?«
Alessa nickte. »Das nehme ich jedenfalls an. Warum sollte sonst jemand ein Kreuz auf den Grabstein malen? Andere Verwandte außer Angela hatte Helen Rydell nicht mehr und ihr Todestag liegt auch schon lange zurück.«
»Jugendliche Schmierfinken«, warf Harmon ein. »Graffiti auf Grabsteinen sind der letzte Schrei, zumindest hier in Savannah. Wussten Sie das nicht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Graffiti sieht anders aus. Das war eindeutig ein Kreuz. Nicht mehr deutlich zu erkennen, weil der Regen die weiße Farbe beinahe weggewaschen hatte, aber ein Kreuz. Und es war nicht das einzige. Auf dem Grabstein von Bruce Gaddison habe ich auch eins gesehen.«
»Gaddison? Das war doch …«
»Der Besitzer des Diners, der auch Schwarze bediente und vom Klan in den Fluss geworfen wurde. Man zog ihn eine halbe Meile weiter östlich aus dem Wasser. Die anderen Opfer haben keine Gräber. Abraham Middleton wurde an einem geheimen Ort beerdigt, der Pfarrer verbrannte in seinem eigenen Haus und der Student flog mit dem Freedom Bus in die Luft. Von den Opfern blieb so gut wie nichts übrig. Steht alles in meiner Seminararbeit. Sie haben die Arbeit gelesen?«
»Sehr genau sogar«, sagte Jenn. »Sie glauben, dass sich der Mörder auch die Nachkommen der anderen Opfer von damals vornehmen wird?«
»Sie nicht?«
»Doch.« Jenn trank von ihrem Kaffee und verzog angewidert das Gesicht. »Ich glaube inzwischen, dass wir es mit einem verrückten Serientäter zu tun haben. Einem Irren, der den Ku-Klux-Klan wiederbeleben und mit diesen Morden auf sich aufmerksam machen will. So was in derArt. Möglich, dass dieser Kirshner oder Stephen Hamilton was damit zu tun haben.« Sie informierte Alessa darüber, was sie am vergangenen Abend erlebt hatte. »Es wird jedenfalls höchste Zeit, dass wir was gegen diesen irren Killer unternehmen. Sollen sich doch die Uniformierten um Reggie Sharer kümmern.« Sie blickte zuerst den Lieutenant und dann Alessa an. »Den Sexualstraftäter, den wir nachts beschatten sollen.«
»Sie werden gar nichts unternehmen«, wies sie der Lieutenant zurecht, »jedenfalls nicht jetzt. Sie haben die ganze Nacht gearbeitet und gehören ins Bett. Mit unausgeschlafenen Detectives kann ich nichts anfangen. Kommen Sie heute Nachmittag wieder, dann ist Agent Sunflower hier, der leitet die Ermittlungen und wird Ihnen sagen, was Sie unternehmen können.«
Er wandte sich an Alessa. »Sind Sie sicher, dass es sich bei den Zeichen auf den Gräbern um Kreuze gehandelt hat? Bei dem Nebel gestern Abend war doch kaum etwas zu erkennen.«
»Ich bin Staatsanwältin«, erinnerte Alessa den Lieutenant, »und stelle nur Behauptungen auf, die ich eindeutig beweisen kann. Ja, das waren Kreuze. Und sie legen zumindest die Vermutung nahe, dass es der Killer auch auf die Nachkommen der anderen Opfer abgesehen hat. Ich weiß, die Polizei ist vor allem dazu da, Morde aufzuklären. Aber wir sollten auch Morde verhindern, ganz besonders, wenn wir wissen, wie der Klansmann vorgehen wird.«
»Der Klansmann?«
Alessa errötete leicht. »So nenne ich den Mörder. Obwohl nicht erwiesen ist, dass die Morde etwas mit einem neuen Klan zu tun haben.«
»Und wie sollen wir Ihrer Meinung nach vorgehen?« In der Stimme des Lieutenants schwang leichter Spott mit.»Alle Nachfahren der Opfer unter Polizeischutz stellen? Selbst wenn ich alle Detectives und Uniformierten einsetzen würde, würde das nicht ausreichen. Mal davon abgesehen, dass wir noch andere Fälle hier liegen haben.«
»Das weiß ich auch«, erwiderte Alessa. »Aber meiner Meinung nach geht der Killer nach einem bestimmten System vor. Helen Rydell war Jeremy Hamiltons erstes Opfer und unser Mörder ist über Angie Rydell hergefallen. Seine Vorgehensweise war die gleiche wie damals, möglicherweise geht er auch in der gleichen Reihenfolge vor. Falls er tatsächlich weitere Morde plant, wovon wir ausgehen müssen, kann sein nächstes Opfer nur ein Nachfahre von Abraham Middleton sein. Wie Sie wissen, war er der schwarze Freund von Helen Rydell.«
»Das mag ja alles sein«, räumte der Lieutenant ein. »Aber sollten wir mit diesen
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