Ghost Street
Stiernacken. »Buddy … ja. So nennen mich fast alle. Ist das ein Verbrechen, Detective?«
»Und Ihr richtiger Name?«
»Buddy Richardson … so steht’s auch in meinem Führerschein. Meinen Eltern fiel nichts Besseres ein.«
»Kennen Sie einen Peter Kirshner?« Ein Schuss ins Blaue. »Stephen Hamilton? Schon mal von ihm gehört?«
Ein nervöses Zucken in seinen Augen verriet Jenn, dass sie vielleicht ins Schwarze getroffen hatte.
Aber es war auch gleich wieder verschwunden. »Kenne ich nicht.« Er zögerte einen Moment. »Das heißt … Kirshner? Ist das nicht dieser Immobilienfritze? Warum sollte ich den kennen? Und Hamilton? Ist das etwa …?«
Jenn ließ ihn nicht ausreden. »Nicht so wichtig, Buddy. War nur eine Frage.« Sie prägte sich sein Gesicht ein und ließ ihn stehen, folgte Harmon und den Uniformierten in den Rohbau.
Zwei Stufen auf einmal nehmend, stieg sie die steile Treppe hinauf. In dem Rohbau gab es keine Geländer. Man musste aufpassen, wohin man trat, wenn man nicht auf dem nackten Betonboden ausrutschen und in die Tiefe stürzen wollte. Mit ihren Laufschuhen fand Jenn einigermaßen Halt und verursachte kaum ein Geräusch.
Im ersten Stock ging sie hinter einem Betonpfeiler in Deckung und blickte in die Runde. Die Öffnungen, die man für die großen Fenster freigelassen hatte, ließen einiges Licht herein, doch es gab genug düstere Ecken, in denen man sich verstecken konnte.
Niemand war zu sehen. Nur Beton, Schutt, eine vergessene Spitzhacke und ein eingerissener Betonsack, den man liegen gelassen hatte. Etliche leere Bierflaschen und gebrauchte Präservative verrieten, dass die Ruine auch Partytreff für ausgelassene Jugendliche gewesen war.
Über Jenn erklangen leise Schritte.
Sie fuhr herum, die Glock schussbereit in beiden Händen, und sah sich einem der Uniformierten gegenüber.
»Nichts«, flüsterte er.
Sie wies ihn mit einer herrischen Bewegung an, den Rohbau zu verlassen, und stieg die Treppe weiter hinauf. Schritt für Schritt tastete sie sich ins nächste Stockwerkempor, dicht an der Wand entlang, die Pistole drohend erhoben. Über ihr erklang wieder ein Geräusch, ein leises Scharren aber diesmal war es nur eine Maus, die in einem kleinen Loch zwischen den Betonstufen verschwand.
Auch im zweiten Stock rührte sich nichts. Verlassen lag der riesige Raum vor ihr. Der frische Morgenwind wehte Staub über den nackten Stein. Diesmal war es eine Ratte, die ein Geräusch verursachte, aber Jenn hatte damit gerechnet und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Aus den verwahrlosten Vierteln von Chicago war sie Ratten gewohnt und aus den Drogenhöhlen in den Slums erst recht.
Sie blickte nach oben. Harmon und der zweite Uniformierte mussten längst im fünften Stock sein. Warum hörte man nichts? Reggie Sharer konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben. Wo versteckte er sich?
Sie huschte in den dritten Stock hinauf und zog sich beim Anblick des großen, von geheimnisvollen Schatten durchzogenen Raums sofort wieder zurück. Mit angehaltenem Atem presste sie sich gegen die Betonwand. Sie hatte die Pistole längst entsichert, war bereit, sofort zu schießen, falls Sharer eine Waffe besaß und sie angriff. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass sich der Bursche in diesem Stock versteckte.
Vorsichtig spähte sie in den großen Raum hinein. Durch die Öffnung auf der Stirnseite, in die man wohl ein Panoramafenster einsetzen wollte, fielen die Strahlen der Morgensonne herein. Sie hatte den Nebel vertrieben und sich durch die Wolken gekämpft. Anders als in Chicago kehrte hier die Sonne bald zurück, wenn es geregnet hatte. Helle Streifen zeichneten geometrische Muster auf den schmutzigen Betonboden.
Abseits der Lichtstreifen gab es dunkle Schatten und eine Ecke des Raumes lag in vollkommener Dunkelheit.Niedrige Mauern, anscheinend Raumteiler für ein geplantes Großraumbüro, boten ebenfalls ein gutes Versteck. Hatten Harmon und der Uniformierte dort nicht nachgesehen?
Von oben drangen leise Stimmen durch das Treppenhaus. Ihre Kollegen hatten das oberste Stockwerk erreicht und Sharer nicht gefunden. Der Uniformierte fluchte leise. Harmon wies ihn zurecht, ahnte sicher, dass sie einen großen Fehler begangen hatten und an Sharer vorbeigelaufen waren.
Jenn kümmerte sich nicht um sie und schob vorsichtig den Kopf nach vorn. Eine schwache Bewegung, in der dunklen Ecke kaum sichtbar und fast nur zu erahnen, weckte ihre Aufmerksamkeit. Sharer war hier! Er hoffte vermutlich darauf, dass
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