Ghost Street
King geschrieben hatte. Er pries ihn als großen Staatsmann und begnadeten Redner, eine »hoffnungsvolle Stimme«, die von einem Attentäter auf brutale Weise zum Schweigen gebracht worden war.
In einem anderen Zeitungsartikel las sie vom Tod seiner Eltern, die im Abstand von wenigen Tagen und viel zu früh gestorben waren, in den Berichten eines Journalisten, der inzwischen für einen Fernsehsender arbeitete, fand sie einige lobende Worte über einen »jungen Mann, der den Mut besessen hatte, sich gegen einen mächtigen Geheimbund zu stellen und wahrscheinlich deshalb so früh sterben musste«. Auch er glaubte also, dass der Klan David umgebracht hatte.
Sie trank wieder einen Schluck Kaffee, aber nur, weil sie nichts Besseres hatte, und gab einen anderen Namen in die Suchmaschine ein: »Florence Hawkley.« Es gab nur einen Eintrag: Sie wurde als Bewohnerin der Claxton Woods Senior Citizen Residence geführt. Ein Foto gab es nicht. Auch keine Verbindung zu Toby Snyder.
Zu Toby Snyder gab es eine ganze Reihe von Verweisen. Die meisten kannte sie von der Recherche, die sie für ihre Seminararbeit betrieben hatte. Meist Zeitungsberichte über die Freedom Riders, die während der Sechzigerjahre in Greyhound-Bussen durchs Land gefahren waren und gegen die Willkür des Klans protestiert hatten. Einigen von ihnen waren diese Aktivitäten zum Verhängnis geworden. Man hatte sie entweder ermordet wie Toby Snyder oder sie waren zu früh und auf sehr zweifelhafte Weise gestorben.
An einen der Einträge konnte sich Alessa nicht erinnern: Im Auszug eines Buches, das ein anderer ehemaliger Freedom Rider, der inzwischen als Professor an einer Uni arbeitete, geschrieben hatte, stand eine genaue Schilderung des Anschlages, der Toby Snyder zum Verhängnis geworden war. Der Autor schrieb: »Ich erinnere mich noch genau an diesen Tag. Die Sonne strahlte vom Himmel und wir waren alle guter Dinge. Auf der Fahrt von Claxton nach Savannah sangen wir im Bus sogar We Shall Overcome und andere Freiheitslieder. Auf die Karosserie unseres Busses hatten wir Parolen wie ›Ban the Klan‹ gemalt, eine direkte Einladung zur Gewalt, wie uns leider erst später klar wurde. Unser böses Erwachen kam an einer einsamen Kreuzung südlich von Pembroke. Es gab dort eine Haltestelle für die Farmer. Die Straße, die den Highway kreuzte, war eigentlich nur ein Feldweg durch die Baumwollfelder. Ein Mann wartete dort. Wir dachten, er wollte von uns mitgenommen werden, und bedeuteten dem Fahrer zu halten. Viel zu spät merkten wir, dass er nur ein Lockvogel war. Kaum hatten wir gehalten, kamen vermummte Klansmänner von allen Seiten. Sie zwangen uns, aus dem Bus zu steigen, und stießen uns von der Straße in die Felder. Nur Toby Snyder blieb stur. Er blieb im Bus sitzen und rief: ›Ich bleibe im Bus, und wenn es das Letzte ist, was ich tue!‹ Einer der Klansmänner antwortete: ›Das kannst du haben!‹ und warf einen Sprengsatz in den Bus. Er explodierte um 16 Uhr 42. Ich erinnere mich noch so genau an die Zeit, weil ich kurz vor der Explosion auf die Uhr gesehen hatte.«
Alessa starrte auf die letzten Sätze, als wäre dort der Name des Mörders zu sehen. Die genaue Zeit der Explosion hatte sie noch nirgendwo gelesen, überall war nur »am späten Nachmittag« oder »um kurz nach halb fünf« zu lesen gewesen. »16 Uhr 30« hatte der Busfahrer damalsangegeben, und so hatte es auch im Polizeibericht gestanden. Wahrscheinlich, weil es sowieso nicht wichtig gewesen war. Die Explosion wurde damals als »Unfall« in den Akten vermerkt und die Klansmänner wurden später nie zur Rechenschaft gezogen.
Aber was, wenn der Mörder von Angela Rydell und Homer Middleton den Artikel gelesen hatte und in seinem Wahn, Jeremy Hamilton genau zu kopieren, sich an diese Zeit halten würde? Sie musste unbedingt die Polizei benachrichtigen. Sie wählte die Nummer des Lieutenants, bekam stattdessen einen jungen Detective dran und sagte es ihm. Sicherheitshalber rief sie Jenn auf ihrem Handy an, erreichte aber nur die Mailbox und sprach alle Informationen drauf. »16 Uhr 42«, betonte sie, »an der Kreuzung bei den Maisfeldern südlich von Pembroke.«
Kaum hatte sie aufgelegt, kam ihr Chef herein. Jack Crosby war überrascht, sie zu sehen, und sagte: »Was suchen Sie denn noch hier, Alessa?«
Sie blickte ihn erstaunt an. »Ich arbeite an der Statistik, die Sie haben wollten. Über die steigende Zahl von Gewaltverbrechen in kleinen Städten.«
»Statistik? Mein Gott,
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