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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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wandern und die Wolkenkratzer in Downtown einen nach dem anderen rammen: explodierende Säulen in Weiß und Blau, in Gold und Silber, ein Feuerwerk aus Glas und Stahl. O my America, my new-found-land – mein Land, wo der Buchmarkt fünfmal so groß ist wie der des Vereinigten Königreichs – shine thy light on me! Als ich am Einwanderungsschalter anstand, summte ich tatsächlich The Star Spangled Banner. Sogar der Bursche vom Ministerium für Heimatschutz – schlagender Beweis für die These: je volkstümelnder der Name einer Behörde, desto stalinistischer ihre Funktion – konnte meinen Optimismus nicht dämpfen. Er saß hinter seiner Glasscheibe und runzelte allein bei der Vorstellung, dass jemand dreitausend Meilen weit flog, um mitten im Winter vier Wochen auf Martha’s Vineyard zu verbringen, die Stirn. Dann stellte er fest, dass ich Schriftsteller war. Sein Misstrauen hätte nicht größer sein können, wenn ich im orangefarbenen Knastoverall vor ihm gestanden hätte.
    »Welche Art Bücher schreiben Sie?«
    »Autobiografien.«
    Das verwirrte ihn offensichtlich. Er argwöhnte, dass ich mich über ihn lustig machte, war sich aber nicht ganz sicher.
    »Ach, Autobiografien? Muss man dafür nicht berühmt sein?«
    »Nicht mehr.«
    Er schaute mich scharf an und schüttelte dann langsam den Kopf, wie Petrus an der Himmelspforte, voller Überdruss angesichts eines weiteren Sünders, der sich den Zutritt zum Paradies erschleichen wollte.
    »Nicht mehr«, wiederholte er mit grenzenlos angewidertem Gesichtsausdruck. Er nahm seinen Metallstempel und stempelte zweimal. Er gewährte mir dreißig Tage.
    Als ich den Einwanderungsschalter hinter mir hatte, stellte ich mein Handy an. Es war eine Begrüßungs-SMS von Langs persönlicher Assistentin eingegangen, einer gewissen Amelia Bly, die sich dafür entschuldigte, dass sie keinen Fahrer habe schicken können, der mich vom Flughafen abholte. Stattdessen riet sie mir, für die Fahrt zum Fährhafen in Woods Hole den Bus zu nehmen, und versicherte mir, dass bei meiner Ankunft auf Martha’s Vineyard ein Wagen auf mich warten würde. Ich kaufte mir die New York Times und den Boston Globe und schaute die beiden Zeitungen, während ich auf den Bus wartete, nach der Lang-Story durch. Nichts. Entweder war sie erst nach Redaktionsschluss bekannt geworden oder man hatte kein Interesse gehabt, sie überhaupt zu veröffentlichen.
    Der Bus war fast leer. Ich saß vorn, in der Nähe des Fahrers. Wir schlängelten uns in südlicher Richtung durch das Gewirr der Stadtautobahnen, verließen Boston und erreichten offenes Land. Die Temperatur lag ein paar Grad unter null, und der Himmel war klar, aber vor nicht allzu langer Zeit musste es noch geschneit haben. Der Schnee lag zu Wällen aufgetürmt neben der Straße und haftete an den höheren Zweigen der Bäume, die sich zu beiden Seiten in großen wogenden Wellen ausbreiteten. Neuengland ist im Wesentlichen das alte England auf Anabolika – breitere Straßen, größere Wälder, weitere Räume; sogar der Himmel schien gewaltiger und prächtiger zu sein. Ich stellte mir den düsteren, feuchten Sonntagabend in London vor, schaute hinaus in den glitzernden Winternachmittag und hatte das angenehme Gefühl, Zeit zu gewinnen. Doch allmählich setzte auch hier die Dämmerung ein. Als wir Woods Hole erreichten und vor der Anlegestelle der Fähre hielten, muss es etwa sechs Uhr abends gewesen sein, und man konnte schon Mond und Sterne sehen.
    Seltsamerweise erst jetzt, als ich das Hinweisschild für die Fähre sah, fiel mir ein, einen Gedanken auf McAra zu verwenden. Dass der Aspekt meines Auftrags, in die Fußstapfen eines Toten zu treten, keiner war, über den ich gern nachdachte, kann kaum überraschen, besonders nach dem Überfall auf mich. Doch während ich meinen Koffer zum Fahrkartenschalter rollte, mir ein Ticket besorgte und dann wieder hinaus in den bitterkalten Wind trat, war es ein Leichtes, sich vorzustellen, wie mein Vorgänger erst drei Wochen zuvor genau die gleichen Wege gegangen war. Er war natürlich betrunken gewesen, was ich nicht war. Ich schaute mich um. Jenseits des Parkplatzes befanden sich mehrere Kneipen. Ob er in einer von denen gewesen war? Gegen einen Drink hätte ich auch nichts einzuwenden gehabt. Aber dann würde ich vielleicht auf dem gleichen Barhocker sitzen wie er, und das wäre dann doch gruselig, dachte ich, wie bei einer von diesen Rundfahrten zu Mordschauplätzen in Hollywood. Stattdessen stellte ich mich an

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