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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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ich mich auch nicht vor der Tür herumdrücken und dann als vermeintlicher Lauscher erwischt werden. Schließlich klopfte ich leise an, und nach ein paar Sekunden hörte ich Adams müde Stimme. »Herein.«
    Er saß am Schreibtisch, seine Frau stand in der anderen Ecke des Zimmers. Beide atmeten schwer, und ich spürte, dass sich gerade etwas Folgenschweres ereignet hatte – der Ausbruch einer seit Langem unterdrückten Explosion. Ich begriff jetzt, warum Amelia auf eine Zigarette vors Haus geflüchtet war.
    »Tut mir leid, dass ich störe«, sagte ich und deutete auf meine Habseligkeiten. »Ich wollte nur ...«
    »Schon gut«, unterbrach mich Lang.
    »Ich rufe jetzt die Kinder an«, sagte Ruth mit bitterer Stimme. »Oder hast du das schon erledigt?«
    Lang schaute sie nicht an. Er schaute mich an. Und wie viele Bedeutungsschichten offenbarten sich mir in diesen trüben graugrünen Augen! In diesem einen langen Augenblick lud er mich ein, einen Blick auf das zu werfen, was aus ihm geworden war: Er war seiner Macht beraubt, wurde von seinen Gegnern beleidigt, war gehetzt, hatte Heimweh, saß in der Falle zwischen Frau und Geliebter. Hundert Seiten hätte man schreiben können über diesen einen kurzen Blick und hätte dennoch nicht alles erfasst.
    »Entschuldigen Sie mich«, sagte Ruth und schob mich ziemlich grob zur Seite, ich prallte richtiggehend mit ihrem kleinen, harten Körper zusammen. Im gleichen Augenblick erschien Amelia in der Tür. Sie hielt ein Telefon in der Hand.
    »Adam«, sagte sie. »Das Weiße Haus. Der Präsident der Vereinigten Staaten.« Sie lächelte mich an. »Wenn Sie so freundlich wären?« Sie geleitete mich zur Tür. »Wir brauchen das Zimmer.«
     
     
    *
     
    Als ich in meinem Hotel eintraf, war es schon fast dunkel. Der Himmel war gerade noch hell genug, dass ich sehen konnte, wie sich vom Atlantik her große schwarze Gewitterwolken über Chappaquiddick auftürmten. An der Rezeption saß das Mädchen mit der kleinen weißen Spitzenhaube. Es sagte, dass eine Schlechtwetterperiode im Anzug sei.
    Ich ging nach oben auf mein Zimmer, blieb noch eine Zeit lang im Dunkeln stehen und lauschte dem Knarzen des alten Hotelschilds und dem unablässigen Donnern und Rauschen der Brandung jenseits der leeren Straße. In dem Augenblick, als sich plötzlich der Leuchtturm einschaltete, zeigte der Lichtstrahl genau auf das Hotel, und das plötzlich rot aufflammende Zimmer riss mich aus meinen Träumereien. Ich machte die Nachttischlampe an und holte den Laptop aus der Schultertasche. Wir hatten schon einiges zusammen durchgemacht, mein Laptop und ich. Wir hatten Rockstars ertragen, die sich für den Messias hielten und der Mission frönten, den Planeten zu retten. Wir hatten einsilbig grunzende Fußballer überlebt, neben denen sich jeder Silberrückengorilla wie ein Shakespeare-Rezitator ausgenommen hätte. Wir hatten es mit kurz darauf schon wieder vergessenen Schauspielern aufgenommen, die mit dem Ego und der Entourage eines römischen Kaisers protzten. Ich gab dem Laptop einen sentimentalen Klaps. Sein einstmals glänzendes Metallgehäuse war inzwischen zerkratzt und zerbeult: ehrenvolle Wunden aus einem Dutzend Schlachten. Auch das hier würden wir irgendwie überstehen.
    Ich stöpselte den Laptop in das Festnetz des Hotels ein, wählte die Nummer meines Internetproviders und ging, während sich die Verbindung aufbaute, ins Bad, um mir ein Glas Wasser zu holen. Das Gesicht, das mich aus dem Spiegel anstarrte, markierte sogar im Vergleich zum Gespenst vom Vorabend eine weitere Stufe des Verfalls. Ich zog die unteren Augenlider herunter und begutachtete das dotterartige Weiße meiner Augen, bevor ich mich meinen vergilbenden Zähnen und ergrauenden Haaren sowie dem feinen roten Netzwerk auf meinen Backen und meiner Nase zuwandte. Martha’s Vineyard schien meinen Alterungsprozess zu beschleunigen. Ein Shangri-La des Zerfalls.
    Aus dem Zimmer hörte ich die vertraute Ansage: »Sie haben Post.«
    Ich sah sofort, dass etwas nicht stimmte. Erst kam eine Latte Spam-Mails mit den üblichen Angeboten, von der Penisvergrößerung bis zum Wall Street Journal, dann eine E-Mail aus Ricks Büro, die den Eingang der ersten Rate des Honorars bestätigte. So ziemlich das Einzige, was nicht aufgelistet war, war die E-Mail, die ich am Nachmittag an mich selbst geschickt hatte.
    Einige Sekunden lang starrte ich tumb auf den Bildschirm, dann öffnete ich auf der Festplatte des Laptops den Ordner, der automatisch jede

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