Gib's mir
gerade zur falschen Zeit am falschen Ort.
Wir gingen zusammen die Grand Parade hinunter, die wahrlich nicht mehr grand ist, und eine Parade kann man sich hier schon gar nicht mehr vorstellen. Die verblichene Schönheit von Häusern aus längst vergangenen Zeiten überragt ein Chaos aus Fahrbahnen, die zur See hinunterführen: Hier fahren Busse, dort PKWs, sogar die Fahrräder haben ihre eigene Spur, und überall in diesem Gedränge versuchen sich irgendwie Fußgänger ihren Weg zu bahnen.
Unter dem langsam dunkler werdenden Himmel erstrahlte der Platz von all seinen Lichtern: Scheinwerfer, Bremslichter, Ampeln und Straßenlaternen. Busse, in denen kaum jemand fuhr, brummten und pufften hinunter ins Depot nach Old Steine, ihr hellerleuchtetes Inneres grell und kalt.
Ich hoffte, Ilya würde nicht ausflippen. Ich hoffte, er würde mitmachen.
Ich stellte mir uns drei vor, ineinander verschlungen auf irgendeinem seltsamen Pensionsbett: meine weichen Kurven zwischen diesen beiden wundervoll straffen Körpern – einer nussbraun, einer goldbraun. Ich malte mir aus, wie sich die beiden berühren – zunächst vielleicht vorsichtig –, Luke schließlich Ilyas Schwanz in den Mund nimmt oder sogar in den Arsch, je nachdem, wie weit ich die Dinge vorantreiben konnte.
Ich konnte mir allerdings nicht vorstellen, dass Ilya den Gefallen erwidern würde. Er würde Lukes Ständer sicherlich in keinen Teil seines Körpers eindringen lassen: Das ginge bestimmt gegen seine Macker-Männlichkeit. Aber es könnte schon sein, dass er geneigt wäre, Lukes Öffnungen in derselben Weise zu nutzen wie die einer Frau.
Und wenn er nein sagen wollte, dann würde ich sagen: «Na, und wie buchstabierst du das? Fängt es mit einem T an, gefolgt von einem I?», und so weiter.
Das zumindest war mein ursprünglicher Plan gewesen. Aber bereits jetzt kamen mir Zweifel.
Schweigend schlenderten Luke und ich nebeneinander die Straße entlang, vorbei an baufälligen Terrassen, über die Schachbrettmuster-Steintreppen, die bis hinauf zur Haustür führten. Die Häuser waren alle schmal und krumm, so als wollte jemand die Straße zusammenschieben wie eine Ziehharmonika und sich die Fassaden hätten sich unter diesem Druck verformt. Vornehme Gecken in Reithosen pflegten einst in diesen Häusern zu feiern; inzwischen waren fast alle zu Wohnungen, Einzimmerapartments, Büros und Gasthäusern geworden – mit einer Sorte Gäste, die nirgendwo mehr ein Zuhause haben, monatelang bleiben und den ganzen Tag lang Satellitenfernsehen schauen.
Die Straßenlaternen warfen silberne Schlaglichter auf unförmige schwarze Müllsäcke.
Meine Stimmung wurde immer trostloser.
Ich hoffte bloß, Ilyas Bed & Breakfast wäre nicht allzu schäbig.
«Und du versprichst mir, dass das wirklich nix Merkwürdiges ist?», brach es aus Luke heraus, als wir uns an einem Baugerüst vorbeidrückten. «Ich meine, diesen Typen, den kennst du doch ziemlich gut, oder? Das ist nicht irgendwie ’ne Falle, nein? Und nicht wieder einer deiner Scherze, oder?»
«Nein», sagte ich schuldbewusst. «Es ist kein Scherz.»
Wir blieben an der Ecke zur Edward Street stehen und warteten darauf, dass die Ampel auf Grün sprang.
«Aber du musst nicht mitkommen», fuhr ich fort und war mir dabei immer noch nicht ganz sicher, ob es mir lieber wäre, wenn er kneifen würde, oder ob ich wirklich wollte, dass er dabeiblieb. «Wenn du Bedenken hast oder das Gefühl, du würdest es doch nicht mehr so gern wollen, dann können wir das Ganze ganz einfach vergessen. Es ist kein Problem. Ich könnte das verstehen. Ich und du, wir könnten dann noch was trinken gehen. Da, wo die Schwulen sind. Ich könnte deine verständnisvolle Hetero-Freundin sein. Und dann würde ich eben da einen Mann für dich suchen.»
«Ich bin aber nicht schwul», erklärte Luke eingeschnappt.
«Hey», meinte ich und drückte kurz seine Hand. «Und selbst wenn du’s wärst –»
«Aber ich bin’s nicht», sagte er. «Ich stehe hauptsächlich auf Mädchen. Typen sind eben bloß … anders. Härter. Ich meine … ich meine kerniger. Trotzdem kann es auch sein, dass ich es beim dritten Mal gar nicht mehr mag. Vielleicht habe ich längst meine Meinung geändert.»
«Okay, okay», sagte ich und ließ das Gespräch versickern.
Ich verstand Luke nicht. Ich hatte Bisexualität immer als eine Art zusätzlichen Spielplatz für erotisch abenteuerlustige Menschen betrachtet. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wie man beides
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