Gideon Crew 02 - Countdown - Jede Sekunde zählt
und deutete mit dem Finger auf eine Demonstrantin. »Sie! Was haben Sie da gerade eben gesagt?«
Eine junge Frau in vollem Western-Dress – Stiefel, Cowboyhut und dicke Gürtelschnalle – trat vor. »Die schleichen immer kurz vor Sonnenuntergang in den Cobre Canyon rauf …«
»Haben Sie das mit eigenen Augen gesehen?«
»Na klar.«
»Und von wo?«
»Vom Grat. Es gibt da einen Weg, auf dem ich reite, am Grat entlang, und ich hab sie von unten gesehen, sie sind den Cobre Canyon raufgegangen und haben Materialien zur Bombenherstellung mitgeschleppt. Die bauen da eine Bombe.«
»Material zur Bombenherstellung? Als da wäre?«
»Na ja, Rucksäcke voll mit Sachen. Schauen Sie, ich mache keine Witze, die bauen eine Bombe.«
»Und wie oft haben Sie diese Leute gesehen?«
»Na ja, nur einmal, aber einmal reicht, um zu erkennen –«
»Wann?«
»Vor einem halben Jahr ungefähr. Und ich sage Ihnen beiden …«
»Vielen Dank.« Fordyce ließ sich ihren Namen und Adresse geben, dann gingen sie zum Wagen zurück. Als er sich ans Steuer setzte, war er immer noch genervt. »Was für eine Zeitverschwendung.«
»Vielleicht ja nicht, falls dieser Tipp über den Cobre Canyon sich als richtig erweist.«
»Lohnt sich wohl, das mal zu überprüfen. Aber die Frau hat nur irgendwas interpretiert, was sie gesehen hat. Was mich wirklich interessiert, das sind diese beiden Typen, die uns aus der Moschee gefolgt sind.«
»Wir wurden verfolgt?«
»Ist Ihnen das nicht aufgefallen?«
Gideon wurde rot. »Ich habe nicht darauf geachtet.«
Fordyce schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wer die waren, aber ich habe von denen ein schön langes Video.«
»Video? Wann haben Sie denn ein Video gemacht?«
Fordyce grinste und zog einen Kugelschreiber aus der Tasche. »Neunundneunzig Dollar, Sharper Image. Besser als Formulare in dreifacher Ausfertigung auszufüllen und wochenlang zu warten, um das offizielle Befragungsvideo von NEST zu kriegen.« Er startete den Motor; seine Miene wurde ernst. »Wir haben drei Tage verplempert. Eine Woche noch bis zum N-Day, vielleicht weniger. Und sehen Sie sich dieses Chaos an. Schauen Sie sich das nur an. Macht mir eine Heidenangst.«
Er gestikulierte verächtlich hinüber zur Gruppe der Polizisten, dann fuhr er los und hinterließ eine Staubwolke in der dünnen Wüstenluft.
27
M yron Dart stand zwischen den dorischen Säulen des Lincoln Memorial und starrte mürrisch auf den Marmorboden zu seinen Füßen. Obwohl es ein heißer Frühsommertag war – die Art von schwülem, lethargischem Nachmittag, der für Washington typisch war –, war es noch relativ kühl im Memorial. Dart achtete darauf, nicht zur Statue von Lincoln hinaufzublicken. Irgendetwas an ihrer ehrfurchtgebietenden Majestät, etwas an dem weisen, gutmütigen Blick des Präsidenten schnürte ihm jedes Mal die Kehle zu. Aber er konnte sich jetzt keine Gefühle leisten. Stattdessen wandte er seine Aufmerksamkeit einem Text der zweiten Antrittsrede zur Amtseinführung zu, die da in Stein gemeißelt war. Mit Festigkeit im Recht, wie Gott uns das Rechte zu erkennen gibt, lasst uns weiter danach streben, die Arbeit, die uns aufgetragen ist, zu beenden.
Das waren treffende, gute Worte. Dart nahm sich vor, sie in den kommenden Tagen im Gedächtnis zu behalten. Er war hundemüde und brauchte Inspiration. Es war nicht nur der Druck, es war das Land selbst. Es schien auseinanderzubrechen, die lauten und dissonanten Stimmen von Demagogen, TV-Sprechern und Medienpersönlichkeiten übertönten den Rest. Die unsterblichen Zeilen aus Yeats’ bedeutendem Gedicht kamen ihm in dem Sinn. Den Besten fehlt jede Überzeugung, während die Schlechtesten voll leidenschaftlicher Heftigkeit sind. Die Krise hatte in seinen amerikanischen Mitbürgern – von den Plünderern und Finanzspekulanten bis zu den religiösen Knallköpfen und politischen Extremisten und selbst in der Feigheit vieler ganz normaler Leute, die planlos von zu Hause flohen – das Schlimmste zum Vorschein gebracht. Was um alles in der Welt war mit seinem geliebten Land geschehen?
Aber er durfte jetzt nicht daran denken, sondern musste sich auf die vorliegende Aufgabe konzentrieren. Er wandte sich um, verließ das Memorial und blieb kurz auf der obersten Stufe stehen. Vor ihm erstreckte sich die Nationalpromenade bis zum fernen Washington Monument, dessen nadelartiger Schatten wie ein Streifen auf die Grünflächen fiel. Der Park war menschenleer. Die üblichen Sonnenhungrigen
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