Gift
Paris fliegen?«, fragte
Samuel.
Janak verzog keine Miene, aber Samuel glaubte zu bemerken,
dass er eine Spur blasser wurde. »Das ist jetztnicht
der richtige Augenblick, um mich um persönliche Angelegenheiten zu
kümmern. Wir arbeiten gerade an einer richtig großen Sache, die unsere
ungeteilte Aufmerksamkeit erfordert.«
Samuel wollte sich schon lustig machen über Janaks Angst, sich
mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, überlegte es sich dann aber
doch anders und beschloss, sich nicht in die Privatangelegenheiten
seines Freundes einzumischen, zumal Janak ihn auch nie in sie
eingeweiht hatte.
»Du wolltest doch am Sonntag mit Vanessa noch mal zu dieser
Kirche fahren«, sagte Janak. »Ich bin schon gespannt, was dabei
herauskommt.«
»Wie viel von alldem soll ich Bernardi erzählen?«
»Vertraust du ihm?«
»Ja. Er hilft uns. Im Übrigen kämen wir ohne ihn kaum weiter.
Wenn er nicht wäre, könnten wir manche Nachforschungen gar nicht
anstellen.«
»Du meinst, weil wir pleite sind?«, sagte Janak.
»Nein. Weil er uns Türen öffnet, die uns normalerweise
verschlossen blieben«, sagte Samuel.
»Gib mir noch ein bisschen Bedenkzeit«, sagte Janak. »Wenn man
jemanden so lange als Feind betrachtet hat, fällt es schwer, so rasch
die Meinung zu ändern.«
»Ich weiß, was du meinst, aber ich muss ihm immer wieder ein
paar Informationen zukommen lassen, damit er auch uns welche gibt,
verstehst du?«
»Schon klar.«
Samuel verließ die Kanzlei und fuhr in die Redaktion, um von
dort aus Lucine anzurufen. Weil es in Frankreich infolge der
Zeitverschiebung bereits Abend war, rechnete er sich gute Chancen aus,
sie zu Hause zu erreichen, was sich auch als richtig erwies. Er sagte
ihr, was er von ihr wollte und dass er bald nach Paris kommen würde,
falls sie die Person, nach der er suchte, für ihn ausfindig machen
könnte. Lucine nutzte die Gelegenheit, um ihm von ihren Gesprächen mit
Hector Somolian zu erzählen.
»Vielleicht interessiert es Sie ja, dass Janak mir einen Brief
geschrieben hat.«
»Was Sie nicht sagen!«
»Ja. Wir schreiben uns inzwischen regelmäßig …«
Samuel legte auf und lächelte. Nun wunderte es ihn nicht mehr,
dass Janak Lucine mit keinem Wort erwähnt hatte, seit er ihm ihre
Adresse gegeben hatte.
Am nächsten Sonntag fuhr Vanessa mit Samuel
nach Richmond, um Bernardi abzuholen, der sich richtig in Schale
geworfen hatte. Er war beim Friseur gewesen und hatte ein Herrenparfum
aufgetragen. Amüsiert über diese unerwartete Entwicklung, nahm Samuel
auf dem Rücksitz Platz, damit der Detective einen besseren Blick auf
Vanessas Beine hatte.
Sie trafen eine halbe Stunde vor Beginn des Gottesdienstes bei
der Kirche ein, wo sich wie in der vorangegangenen Woche bereits
zahlreiche Gläubige eingefunden hatten. Es waren einige Gesichter
darunter, die sie von ihrem letzten Besuch wiedererkannten, und viele
grüßten sie, als gehörten sie inzwischen auch dazu. Ohne auf ihren
Vater zu warten, befestigte Vanessa einen Teil der Fotos an der
Pinnwand, den Rest ließ sie herumgehen. Die Gitarristen stimmten die
Gläubigen mit ihrer Musik bereits auf den Gottesdienst ein.
»Ist jemand unter Ihnen, der weiß, woher dieser blaue Käfer
stammen könnte?«, wandte sich Vanessa auf Spanisch an die versammelte
Gemeinde.
Viele der Gottesdienstbesucher schüttelten den Kopf. Als
Vanessa Samuels und Bernardis enttäuschte Reaktion bemerkte, gab sie
ihnen zu bedenken, dass noch längst nicht alle Gläubigen eingetroffen
seien, und wollte ihnen gerade vorschlagen, später, wenn sich die
Kirche gefüllt hätte, noch einmal zu fragen, als knarrend die Tür
aufging und der dunkelhäutige alte Mann mit dem weißen Haar hereinkam.
Alle drehten sich nach ihm um, und es wurde seltsam still, sodass das
Klopfen seines Gehstocks und das Schlurfen seiner Schritte noch
deutlicher zu hören waren. Als er an der Pinnwand stehenblieb, fragte
ihn Vanessa gespannt: »Und, Don Silverio, können Sie uns etwas über
diesen Käfer sagen?«
»Si, niña .« Der
alte Mann nickte und begann in raschem Spanisch auf sie einzureden.
»Er glaubt zu wissen, wo diese Käfer hier in der Gegend
vorkommen«, übersetzte Vanessa für Samuel und Bernardi. »Auf der
anderen Seite der Stadt gibt es einen Bach, und wenn ihn nicht alles
täuscht, hat er dort schon öfter solche Käfer gesehen. Er sagt, er war
dort fischen.«
»Kann er uns beschreiben, wo diese Stelle genau ist und wem
das Land dort gehört?«, fragte
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