Gilde der Jäger: Engelsblut (German Edition)
war nie ein Mann, der Ehrlichkeit geschätzt hätte .« Eine scharfe Beschuldigung, bevor er sich ihr zuwandte. »Für die nächsten fünf Tage ist deine Anwesenheit hier erforderlich. Sag der Gilde, dass du nicht verfügbar sein wirst .«
Ihr Rücken versteifte sich bei diesem unmissverständlichen Befehl. Sie griff nach der Kaffeetasse und war nicht besonders begeistert, sie leer vorzufinden. »Werde ich den Grund für diese königliche Direktive erfahren ?«
Eine Augenbraue wurde hochgezogen, und der Wind, der aus den aufgewühlten Wassern aufstieg, wehte ihrem Erzengel das nachtschwarze Haar ins Gesicht. »Der Kolibri möchte meine Gemahlin kennenlernen .«
Ihre Ironie wurde von einer Welle fast schmerzhafter Emotionen weggeschwemmt. Nach Peking, als sie zur Ruhe gezwungen war, damit ihr Körper sich erholen konnte, hatte sie sich oft in einem Sessel in Raphaels Büro in der Zufluchtsstätte zusammengerollt. Doch anstatt die von Jessamy zusammengestellten Geschichtsbücher zu lesen, hatte sie sich schließlich fast nur mit ihrem Erzengel unterhalten.
Irgendwann in dieser Zeit hatte er ihr in Ausschnitten erzählt, was Illiums Mutter in seinem verwundbarsten Moment für ihn getan hatte. Daher empfand Elena eine tiefe Loyalität für diesen Engel, dem sie noch nie begegnet war. »Ich hatte mich schon gefragt – hast du Illium deshalb in deine Dienste genommen ?« , fragte sie. »Weil er ihr Sohn ist ?«
»Zunächst ja .« Er legte ihr fest die Hand in den Nacken und zog sie zu sich heran. »Dem Kolibri gilt meine Loyalität, und es war keine große Sache, ihren Sohn in die Reihe meiner Leute aufzunehmen, als er alt genug war .«
Trotzallem,wassiemiteinanderteilten,hatteElenaimmerdasGefühl,dasseinwichtigesDetailfehlte,wennRaphaelvondemKolibrisprach,unddaswarandiesemTagnichtanders.EswaretwasinseinemTonfall,einverborgenerSchatten,densienichtganzzufassenbekam – inVerbindungmitIlliumsniedergeschlagenemVerhaltenvomVortagwarfesFrageninihrauf.AbereinigeGeheimnissegehörtenanderen,sovielhattesiegelernt.
»Illium hat sich schon sehr bald als würdig erwiesen « , fuhr Raphael fort. »Meine Verpflichtung dem Kolibri gegenüber hat jetzt nichts mehr damit zu tun .«
Da sie Illium in Aktion gesehen hatte, glaubte sie ihm aufs Wort. »Ich werde zu Hause sein. Muss ich mich herausputzen ?«
»Ja. Der Kolibri ist ein altmodischer Engel .«
»Wie alt ?«
»Sie kannte meine Mutter. Sie kannte Caliane .«
Die Wellen unter ihren Füßen bäumten sich auf und brachen sich in unbändiger Wut, als würde Caliane versuchen, Anspruch auf ihren Sohn zu erheben.
Eine halbe Stunde später sah Elena Raphael nach, der über den Hudson zum Erzengelturm flog. Vor ihm lag ein Tag, der ganz sicher sehr hart werden würde.
»Die Engel in meinem Herrschaftsgebiet wurden angewiesen, Berichte über alle Vorfälle und Verluste einzureichen « , hatte er ihr gesagt, bevor er sich in die Lüfte geschwungen hatte. »Boston war weder das erste noch das einzige Unglück, nur das größte .«
»Kann ich irgendetwas tun ?«
»Nicht heute, aber ich habe das Gefühl, dass wir deine Fähigkeiten schon bald werden brauchen können .«
Es war eine unheilvolle Vorhersage, doch da es zu nichts führen würde, sich Sorgen zu machen, und dies die erste Verschnaufpause seit ihrer Ankunft in New York war – zumindest für sie –, beschloss Elena, einen Teil der Zeit zu nutzen, um sich einzuleben. Zuerst machte sie sich auf den Weg zum Gewächshaus, dessen Glas im metallisch gleißenden Sonnenlicht dieses Tages funkelte.
Kaskaden aus Farben und Duft erfüllten das Glasgehäuse. Es gab so vieles zu entdecken, doch sie steuerte direkt auf die Ecke zu, in der ihre geliebten Begonien standen. Ein Stich von Traurigkeit durchfuhr sie, als sie sanft eine der perfekten rotgoldenen Blüten berührte und an die Pflanzen in ihrer früheren Wohnung denken musste. Sie waren fraglos alle eingegangen, nachdem sie selbst blutend und mit zertrümmerten Knochen in die Umarmung eines Erzengels gefallen war. »Aber Pflanzen wachsen nach « , sagte sie zu sich und konzentrierte sich auf die grüne Schönheit, die sie umgab. »Sie bekommen neue Wurzeln und schaffen sich ihren Raum in fremder Erde .«
Und das würde sie ebenfalls.
Mit dem guten Gefühl, eine bewusste Entscheidung getroffen zu haben, griff sie nach der kleinsten, schwächsten Begonienpflanze und nahm sich die Zeit, sie in nährstoffreichere Erde umzutopfen. Dann nahm sie den Topf behutsam in beide
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