Giselles Geheimnis
eine gewisse Befriedigung, dass ihre nüchterne Antwort der anderen nicht unbedingt gefiel.
„Und das macht Ihnen nichts aus? Ihnen ist gleich, dass er Sie nur für den Sex benutzt, und das auch nur, solange er sich für Sie interessiert? Er wird Sie fallen lassen, sobald er sich mit Ihnen langweilt. Er wird Ihnen nie ein Versprechen geben, und vor allem wird er Ihnen nie ein Kind geben. Eigentlich wollte er mich ja für sich haben, aber er fühlte sich verpflichtet, beiseitezutreten, sobald er merkte, dass Aldo sich für mich interessierte und mich heiraten wollte“, fuhr Natasha nahtlos fort, ohne Giselle Gelegenheit zu lassen, etwas zu erwidern. „Sehen Sie, Stefano wird weder heiraten noch Kinder haben. Vor allem keinen Sohn, denn er weiß ja, dass sein Sohn immer den zweiten Platz hinter meinem würde einnehmen müssen … wenn Aldo und ich in Zukunft Kinder bekommen.“
Sie machte eine kurze Pause, eine kleine Falte kräuselte ihre glatte Stirn, so als würde ihr irgendetwas Missfallen bereiten. „Genau wie er selbst immer den zweiten Platz hinter Aldo eingenommen hat. Sein Stolz erträgt das nicht, Stefano muss immer der Erste sein, in allem. Als Kind des zweitgeborenen Sohnes hat er seine Kindheit im Schatten Aldos verbringen müssen, und das ist es, was ihn heute noch antreibt. Also, wenn ich Sie wäre, dann würde ich mir einen anderen suchen.“ Damit hatte Natasha sich schon zur Tür gedreht und war verschwunden, bevor Giselle auch nur ein Wort hatte herausbringen können.
Wäre Giselle die Frau gewesen, die auf ein Versprechen von Stefano hoffte, die Frau, die sich das Glück eines Kindes von Stefano wünschte, so hätten Natashas kalkuliert grausame Worte wohl alle Hoffnungen und Träume zunichtegemacht. Falls sie diese Frau gewesen wäre. Das war sie aber nicht. Natashas Bemerkungen, in denen sicherlich ein Funken Wahrheit steckte, hatten stattdessen die genau gegenteilige Wirkung. Sie ließen eine Mischung von berauschenden Emotionen in Giselle aufschießen und befreiten sie von den Einschränkungen, die sie sich bisher selbst auferlegt hatte.
Natasha konnte es nicht ahnen, aber was sie über Stefano gesagt hatte, machte ihn zum perfekten Mann für Giselle. Nein, nicht Mann, sondern Liebhaber. Jetzt also konnte Giselle es endlich zugeben, jetzt konnte sie die Flut des Verlangens akzeptieren, die in ihr tobte, jetzt konnte sie die Schleusen öffnen und den mächtigen Strom durch sich hindurchfließen lassen. Sollte Stefano also auf sie zukommen, würde sie es sich nicht nur erlauben, sich dem Feuer zu nähern, sondern sie würde sich bereitwillig von den Flammen verschlingen lassen, brauchte sie doch nun keine Bedenken wegen der Zukunft mehr zu haben.
Inzwischen war es nach neun geworden. Zeit, sich für das Dinner fertig zu machen.
Nachdem sie geduscht hatte, ging Giselle in das Ankleidezimmer und nahm die beiden Abendkleider aus dem Schrank – die Kleider, die Stefano bezahlt hatte. Sie waren bei Weitem nicht so aufreizend wie das Kleid, das Natasha trug, aber sie waren elegant und stilvoll. Kleider für eine Frau, die sich ihrer selbst, ihrer Sinnlichkeit und ihrer Gefühle für den Mann, dem sie ihre Sinnlichkeit schenkte, sicher war. Kleider, die von Selbstachtung sprachen und von verheißungsvollen Versprechen, eingelöst in abgeschiedener Privatsphäre. Deshalb hatte Giselle diese Kleider ja nicht mitnehmen wollen. War das auch der Grund, warum sie sie jetzt tragen wollte?
Sie hielt sie beide hoch und wägte ab. Das eine, eine Kreation aus jadegrünem Seidenjersey, hatte einen weiten runden Ausschnitt, eng anliegende lange Ärmel und reichte bis auf den Boden, wobei an einer Seite des langen Rocks ein kleiner Schlitz ein Stück Bein freigab. Das andere Kleid war schwarz, ebenfalls mit langen Ärmeln, aber mit einem tiefen Ausschnitt im Rücken, der sich bis auf Taillenhöhe hinunterzog.
Giselle meinte, dass sie sich in dem grünen wohler fühlen würde. Und überhaupt … ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie keine Zeit hatte, noch lange zu überlegen.
Zwanzig Minuten später stand sie vor dem Spiegel im Ankleidezimmer und starrte ihr Konterfei an. Das Kleid passte perfekt, die Farbe schmeichelte ihrem Teint und verlieh ihm eine strahlende Seidigkeit. Praktisch gesehen war sie vom Hals bis zu den Handgelenken und Zehenspitzen bedeckt, dennoch schien es ihr, dass das Kleid außerordentlich elegant und gleichzeitig diskret sexy an ihr wirkte – es sei denn natürlich, sie machte
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