GK0080 - Das Höllenheer
»So, nun berichten Sie mal, Inspektor. Wo drückt der Schuh?«
John erzählte noch einmal alles von Anfang an. Ließ nichts aus und fügte auch nichts hinzu. Professor Bannister war ein guter Zuhörer. Kein Muskel zuckte in seinem Gesicht. Er unterbrach John auch mit keinem Wort. Zwischendurch servierte der Ober lautlos den Tee. Professor Bannister nippte mit vorsichtigen Schlucken. Nach John Sinclairs Bericht war es erst einmal zwischen den beiden Männern still.
Schließlich sagte Professor Bannister: »Wenn ich Sie ja nicht kennen würde, Inspektor, ich hielte Sie für einen Spinner. Aber so muß ich Ihnen das schon abnehmen. Und wenn ich vorher eine Frage stellen darf. Was habe ich mit der Sache zu tun?«
Johns Lächeln wirkte ein wenig verlegen, als er antwortete. »Ich weiß, Professor, daß Sie Völkerkundler sind und sich auch mit Dämonologie beschäftigen. Ich habe nun angenommen, daß Sie mir bei der Suche nach der Göttin behilflich sein können. Vielleicht ist es auch zuviel verlangt, aber ich muß jede Möglichkeit ausschöpfen.«
Professor Bannister griff in die Innentasche seines braunen Jacketts und holte einen Tabaksbeutel nebst Pfeife hervor. Als die ersten blauen Rauchschwaden gegen die holzgetäfelte Decke stiegen, gab er Antwort.
»Sie haben Glück gehabt, Inspektor. Von der Dämonengöttin Kalhori habe ich tatsächlich schon einiges gehört. Es war auf einer meiner Forschungsreisen oben in Tibet. Wir hatten in einem Kloster übernachtet, und ein Mönch, mit dem ich eine sehr lange Diskussion hatte, sprach von der Göttin. Natürlich wollte ich mehr Wissen, doch der Mann gab keine Einzelheiten preis. Ein Gelöbnis verschloß ihm sozusagen den Mund. Ich habe auch nicht weiter gefragt, denn uns interessierten damals andere Dinge. Sie, Inspektor, sind der erste, der mich wieder darauf anspricht.«
John lehnte sich zurück. »Dieses Kloster, Professor, wissen Sie noch, wo es lag?«
»Ja. Nicht weit davon ist ein Ort. Oder besser gesagt ein größeres Dorf. Es trägt den Namen Zhigatse. Das Kloster liegt ungefähr zehn Meilen davon weg, allerdings hoch in die Felsen gehauen.«
»Die Mönche wissen demnach mehr von der unheimlichen Dämonenfürstin«, sagte John.
»Das schon, Inspektor. Aber wie gesagt, die Schweigepflicht verbietet es den Leuten, darüber zu reden.«
»Trotzdem, ich muß nach Tibet, um das Übel an der Wurzel packen zu können.«
»Wie haben Sie sich das vorgestellt, Inspektor? Wie wollen Sie die Dämonen bekämpfen? Hier in London haben Sie Glück gehabt – aber dort…«
»Ich werde es eben darauf ankommen lassen müssen.«
»Und hinterher mache ich mir Vorwürfe, wenn Sie verschwunden sind.«
»Das ist Berufsrisiko.«
Professor Bannister blickte John nachdenklich an. Dann sagte er plötzlich: »Ich habe in Dehli einen Freund, der sich mit den gleichen Wissenschaften beschäftigt wie ich. Nur viel intensiver. Vor allen Dingen mit der Dämonologie. Er wird Ihnen bestimmt helfen. Ich werde ihm noch heute Bescheid geben.«
John Sinclair war elektrisiert. »Wie heißt der Mann, Professor?«
»Sein Name lautet Mandra Korab. Er gehört in Dehli zu den Gesellschaftsspitzen. Sein Vater ist ein immens reicher Maharadscha. Wenn Ihnen einer helfen kann, dann ist es Mandra Korab.«
Professor Bannister zückte sein Notizbuch und riß eine Seite ab. »Ich gebe Ihnen jetzt die Adresse, Inspektor. Bestellen Sie meinem Freund die besten Grüße von mir. Und Ihnen wünsche ich viel Glück.«
Professor Bannister stand auf und reichte John die Hand. Dann verließ er mit schnellen Schritten das Lokal. John Sinclair blieb noch einige Augenblicke sitzen. Die Gedanken schwirrten in seinem Kopf herum. Er dachte an die Dämonenfürstin und an Mandra Korab. Er war gespannt auf diesen Mann.
Aber tief in seinem Innern hatte er auch Gefühl der Angst. Er wußte, daß etwas Schreckliches auf ihn zukommen würde und er es nicht verhindern konnte – und auch nicht wollte. Als John das Lokal verließ, begann es wieder zu schneien. Mit schnellen Schritten steuerte der Inspektor das nächste Reisebüro an, um sich eine Flugkarte nach Dehli zu kaufen. Es sollte eine Reise in die Hölle werden…
***
Das Klima in Dehli war feucht und heiß. John Sinclair traf die Tropenluft wie ein Schock, als er das klimatisierte Flugzeug verließ. Der Inspektor riß sich sofort den Hemdknopf auf und lockerte den Krawattenknoten. Für das freundliche Lächeln der Stewardessen hatte er nur ein schmales Grinsen
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