GK0141 - Irrfahrt ins Jenseits
wurde ihr langsam besser.
Jetzt dachte sie auch daran, das Zimmer zu verlassen. Denn solange der Mann und die Frau noch nicht wieder zurück waren, konnte sie unbemerkt verschwinden.
Auf Zehenspitzen schlich Alice Paine zur Tür.
Sie hatte Glück, denn die Tür war offen. Das Kind machte sich darüber keine Gedanken. Es nahm es einfach als gegeben hin. Sie wußte nicht, daß es in diesem Haus bis auf die Gaststube überhaupt kein Zimmer gab, das man abschließen konnte.
Alice schlüpfte durch den Türspalt in einen finsteren Gang. Es war so dunkel, daß sie nicht einmal die Hand vor Augen sehen konnte.
Alice blieb stehen und lauschte. Sie hörte ihr eigenes Herz pochen. Es kam ihr laut vor.
Unter ihr mußte wohl gefeiert werden. Sie hörte laute Stimmen und grölendes Gelächter.
Alice tastete sich an der Wand entlang, als sie weiterging. Sie hatte unbewußt genau die Richtung eingeschlagen, die zur Treppe führte. Zum Glück hatten sich ihre Augen inzwischen an die herrschenden Lichtverhältnisse gewöhnt, so daß sie Umrisse erkennen konnte. Außerdem fiel von unten her ein schwacher Lichtschein auf die Treppenstufen.
Alice sah die Treppe rechtzeitig genug. Mit der linken Hand umfaßte sie den runden Handlauf des Geländers. Dann setzte sie den Fuß vorsichtig auf die erste Stufe.
Das Holz knarrte unter ihrem Gewicht und Alice hatte Angst, jeder könne sie hören.
Doch nichts geschah. Unbehelligt schaffte sie auch die fünf Stufen bis zum ersten Absatz.
Hier blieb Alice erst mal stehen und sah die restlichen Stufen hinunter. Das Licht, das die Treppe beleuchtete, stammte von einer trüben Lampe, die über einer Tür hing. An der Tür war ein Schild befestigt worden. Was darauf stand, konnte Alice aus dieser Entfernung nicht lesen.
Sie wollte gerade weitergehen, als die Tür plötzlich geöffnet wurde und ein Mann den Gang betrat.
Alice zuckte zurück. Plötzlich fing sie an zu zittern.
Der Mann sah das Kind nicht. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und ging mit wiegenden Schritten auf eine Tür zu, die zu den Toiletten führte.
Alice wartete, bis der Mann wieder zurückgekommen war, und ging dann weiter.
Ungesehen erreichte sie das Erdgeschoß.
Sie blickte sich schnell um.
Ein Gang glich dem in der ersten Etage aufs Haar. Am Ende befand sich eine Tür, die ein wenig offenstand und vom Wind hin und her bewegt wurde.
Alice huschte auf die Tür zu. Die Neunjährige hatte eine schnelle Auffassungsgabe. Sie ging bewußt nicht in den Gastraum, denn sie nahm an, daß sich dort unter Umständen ihre Entführer befanden.
Alice gelangte in einen Garten.
Sie trug nur ihren Pullover und die Hose. Der kalte Nachtwind pfiff durch ihre Kleidung, und das Kind begann zu frieren.
Obwohl es ihr kalt war, trieb es sie von dem Haus weg, in dem sie gefangengehalten worden war.
So schnell sie konnte, lief sie durch den Garten, sprang über einen Zaun und erreichte nach mehreren Umwegen die Hauptstraße des Ortes.
Hier blieb sie erst einmal stehen.
Dunkel und verlassen lag die Straße vor ihr. Die Häuser verschmolzen mit der Finsternis, und nur hinter wenigen Fenstern brannte Licht.
Alice Paine kam sich unsagbar verlassen vor. Sie begann zu weinen. Und doch traute sie sich nicht, in einem der Häuser Zuflucht zu suchen. Sie rannte einfach los, wollte sich irgendwo verstecken, den neuen Tag abwarten und dann jemanden um Hilfe bitten.
Das Mädchen hatte das Dorf schnell hinter sich gelassen. Ein schmaler Weg zweigte von der Straße ab. Er war von Büschen und Sträuchern flankiert.
Alice nahm den Weg und ahnte nicht, daß es der Pfad war, der direkt zur Burg führt…
***
Willy hatte durch eines der Fenster gepeilt. Jetzt winkte er seinem Meister aufgeregt zu.
»Sie sind beide da«, sagte er. »Der Mann und auch die Frau.«
Bassum nickte. »Das ist gut. Wieviel Leute sind denn noch in der Gaststube?«
»Ich habe sie nicht gezählt. Aber allein sind wir nicht.«
Sam Bassum hatte vor Aufregung feuchte Handflächen. Noch nie im Leben hatte er sich in solch einer Situation befunden. Für ihn waren die beiden Mörder, und er wollte sie stellen. Sicher, wenn es im Ort eine Polizeistation gegeben hätte, wäre alles viel einfacher gewesen, aber so mußte man eben das Gesetz des Handelns selbst in die Hand nehmen.
Ich hätte ja auch eigentlich in Glasgow oder Aberdeen anrufen können, dachte Sam, aber dann hätte er den Ruhm teilen müssen, und dabei sah er sich schon im Geiste auf den Titelseiten
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