GK388 - Der Blutrichter
Schatten wiederkamen, wollte er nicht mehr hier sein.
Es wurde für ihn zur fixen Idee, daß sie wiederkommen würden, und das schürte seine Angst. Er biß die Zähne zusammen und quälte sich auf die Beine. Keuchend stand er da. Mit nach vorn gebeugtem Oberkörper. Und alles drehte sich um ihn herum.
Mühsam versuchte er die würgende Übelkeit hinunterzuschlucken. Breitbeinig durchquerte er den Raum. Überall hielt er sich fest, um nicht wieder zu Boden zu sinken.
Seine Knie kamen ihm weich wie Gummi vor.
Er mußte nach jedem Schritt eine kurze Pause einlegen. Deshalb brauchte er endlos lange, bis er das Hausboot verlassen hatte. Wie ein schwer Betrunkener torkelte er den Kai entlang.
Telefonieren! hämmerte es schmerzhaft in seinem Kopf. Du mußt telefonieren! Er suchte eine Telefonzelle.
Zweihundert Yards von McKays Hausboot entfernt entdeckte er eine. Mühsam schleppte er sich darauf zu. Drinnen lehnte er sich an die Glaswand und schloß die Augen.
Sein Kopf dröhnte. Die Übelkeit nahm zu. Er wußte, daß er jetzt hätte still liegen müssen. Aber sein Freund McKay war verschleppt worden. Er mußte die Polizei alarmieren.
Umständlich warf er das Geldstück ein.
Langsam wählte er. Am andern Ende meldete sich eine gleichgültige Männerstimme.
»Mein Name ist Flagg«, keuchte der Erschöpfte. »Robert Flagg. Es ist etwas Furchtbares geschehen.«
»Was, Mr. Flagg?«
»Mein Freund David McKay besitzt ein Hausboot auf der Themse.« Flagg sagte, wo sich das Hausboot genau befand. »Wir saßen beisammen und tranken ein bißchen. Da tauchten Schatten auf. Schwarze, unheimliche Schatten, Officer! Sie kamen auf das Hausboot und fielen über uns her. Sie haben mich niedergeschlagen und meinen Freund verschleppt.«
»Sind Sie sicher, daß Sie nicht zuviel getrunken haben, Mr. Flagg?«
»Glauben Sie mir nicht?«
»Offengestanden, es fällt mir sehr schwer…«
»Aber jedes Wort ist wahr, Officer! Ich habe eine Gehirnerschütterung erlitten. Ich muß ins Krankenhaus. Könnten Sie veranlassen, daß mich ein Krankenwagen abholt?«
»Na schön. Von wo aus rufen sie an?«
Flagg sagte es ihm.
»Bleiben Sie da. Ich veranlasse das Nötige.«
»Danke«, sagte Flagg, und da wurde ihm schwarz vor den Augen.
Er ließ den Hörer fallen und brach zusammen. Die Anstrengung war zuviel für ihn gewesen. Er war erneut ohnmächtig geworden.
»Hallo!« rief der Polizeibeamte am anderen Ende. »Hallo.« Aber Robert Flagg war nicht in der Lage zu antworten.
***
Ich erholte mich allmählich. Mit dem Handrücken wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Die Schatten hatten mir einiges abverlangt, und mir rieselten bei dem Gedanken dicke Hagelschloßen über den Rücken, daß ich jetzt nicht mehr leben würde, wenn Mr. Silver nicht im allerletzten Moment eingegriffen hätte.
»Lance!« rief ich. »Entwarnung! Es ist alles vorbei! Du kannst herunterkommen!«
Mein Freund und Kampfgefährte und ich blickten zur Treppe.
Lance kam nicht.
»Lance!« rief ich noch einmal. Ich schaute den Ex-Dämon an. »Du hast doch gesagt…«
Mr. Silver zuckte mit den Schultern. »Vielleicht war der Streß zuviel für ihn. Kann sein, daß er sich hingelegt hat.«
»Er müßte trotzdem antworten!« sagte ich. »Auch wenn er liegt.«
»Ich schau’ mal nach«, sagte Mr. Silver.
»Ich komme mit.«
»Kannst du schon wieder Treppen steigen?«
»Ich kann alles. Mein Wille versetzt Berge.«
»Wunderbar. Dann komm«, sagte der Ex-Dämon.
Wir begaben uns ins Obergeschoß. Da, wo Lance Selby gestanden hatte, stand er nicht mehr.
Der Hüne schüttelte den Kopf. »Das gefällt mir nicht.«
Wir traten in Lances Schlafzimmer, aber auch da war der Parapsychologe nicht. Daraufhin nahmen wir uns jeden Raum vor, und auch den Dachboden. Von Lance keine Spur.
»Verstehst du das?« fragte ich Mr. Silver.
»Nein.«
»Ich dachte, alle Schatten wären ausgeschaltet.«
»Sieht fast danach aus, als hätten wir einen übersehen.«
»Und der hat Lance entführt,«, sagte ich.
»Eine andere Erklärung habe ich für sein Verschwinden nicht«, brummte Mr. Silver.
»Mist!« entfuhr es mir. Ich begab mich zum Schlafzimmerfenster. Instinktiv wurde mir bewußt, daß Lance Selby auf diesem Weg verschwunden war. Und das nicht freiwillig.
***
»War drüben was los?« fragte Vicky Bonney, als wir wieder heimkamen. »Das kann man wohl sagen«, knirschte ich. »Sieht man es mir nicht an?«
»Doch.« Vickys Blick pendelte zwischen Mr. Silver und mir hin und
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