GK442 - Der Drachenmann
leben, doch diese schreckliche Tatsache entzog sich seiner Kenntnis.
***
Norman Palance hatte in den letzten 24 Stunden die Hölle durchgemacht. Bis spät in die Nacht hatte er auf Lorne Lupinos Anruf gewartet, aber der Profi-Killer hatte sich nicht gemeldet. Die Erfolgsmeldung blieb aus.
Palance hatte keine Ahnung, ob Leigh Saxon noch lebte oder schon tot war. Er brachte schreckliche Stunden hinter sich. Sie waren angefüllt mit Seelenqualen und Gewissensbissen. Mehr als einmal sagte er sich, daß er nicht richtig gehandelt hatte, daß kein Mensch das Recht hatte, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen. Er hätte die Sache gern rückgängig gemacht, aber das war unmöglich. Lorne Lupino war nicht mehr zurückzupfeifen. Palance hatte es versucht. Er hatte bei Lupino zu Hause angerufen, aber es hatte niemand abgehoben. Die Dinge hatten ihren Lauf genommen. Wie eine losgetretene Lawine. Nichts konnte sie mehr stoppen. Am Ende würde es einen Toten geben: Leigh Saxon…
Das glaubte Norman Palance.
Vielleicht hoffte er das auch.
Aber es kam anders.
Nach einer durchwachten Nacht begab er sich in sein Büro. Schatten unter den blassen Augen. Hundemüde. Erledigt. Er fühlte sich wie gerädert. Seine Glieder waren bleischwer, und alles, was er machte, war für ihn mühsam.
»Geht es Ihnen nicht gut, Mr. Palance?« fragte ihn seine rothaarige Sekretärin fürsorglich.
Er antwortete nicht.
»Sie sehen ganz krank aus. Kann ich etwas für Sie tun?«
»Ja, machen Sie mir starken Kaffee. Viel. Sehr viel. Ich habe in der vergangenen Nacht kein Auge zugetan. Es muß wohl am Wetter liegen. Ich bin in letzter Zeit sehr wetterfühlig geworden.«
»Vieleicht sollten Sie mal zu einem Arzt…«
Arzt, dachte Norman Palance bitter.
Ich brauche keinen Arzt. Ich weiß, wann es mir besser gehen wird: Sobald ich weiß, daß Leigh Saxon nicht mehr lebt, daß die ständigen Attacken dieses Teufels ein Ende haben. Wenn Saxon meine Existenz nicht mehr bedroht, werde ich mich schnell erholen.
»Ja«, sagte er flüchtig. »Vielleicht werde ich einen Arzt aufsuchen. In den nächsten Tagen. Sobald ich Zeit habe. Hat jemand angerufen?«
Die rothaarige Frau - sie war 52 und sehr gepflegt - nannte ein paar Namen. Alles unwichtig, dachte Palance. Insgeheim hatte er gehofft, daß sich Lorne Lupino wenigstens hier, wenn schon nicht bei ihm zu Hause, gemeldet hatte, obwohl so ein Anruf nicht ungefährlich gewesen wäre. Aber Lupino hatte immer noch kein Lebenszeichen von sich gegeben.
Allmählich beunruhigte Palance das Schweigen des Killers. Was für einen Grund hatte Lorne Lupino, sich nicht zu melden? Er hatte doch noch die zweite Hälfte des vereinbarten Betrages zu bekommen. Hatte es Schwierigkeiten im Hause von Leigh Saxon gegeben?
Davon müßte etwas in der Zeitung stehen, dachte Palance.
»Ist die Morgenpost schon da?« fragte Norman Palance.
»Ja, Sir. Sie liegt auf Ihrem Schreibtisch.«
»Und die Zeitungen?«
»Auch auf Ihrem Schreibtisch.«
»Danke. Ich möchte in der nächsten Stunde nicht gestört werden.«
»In Ordnung, Sir. Ich bringe Ihnen in wenigen Minuten den Kaffee.«
Palance nickte und zog sich in sein Allerheiligstes zurück. Er eilte auf seinen großformatigen Schreibtisch zu, ließ die Morgenpost unbeachtet und stürzte sich sofort auf die Zeitungen. Er erwartete, darin eine ganz bestimmte Meldung zu finden. Eine Nachricht, die Leigh Saxons Tod verkündete, aber dann warf ihn ein furchtbarer Schock in den Sessel.
Nicht Saxon war tot, sondern Lorne Lupino.
Palance brach der kalte Schweiß aus allen Poren. Er raufte sich die Haare und war einer Herzattacke nahe. Seine Sekretärin klopfte. Er hörte es nicht, denn sein Herz schlug lauter gegen die Rippen. Die rothaarige Frau öffnete vorsichtig die ledergepolsterte Tür.
»Ich bringe den Kaffee, Sir.«
Als sie Palance sah, erschrak auch sie.
»Mein Gott, Mr. Palance…« Sie eilte zu ihm, stellte die Serviertasse auf dem Schreibtisch auf und griff zum Telefonhörer. »Ich werde Dr. Shindler sofort bitten…«
»Lassen Sie das!« verlangte Palance.
»Aber Sir, Sie sehen aus wie der leibhaftige Tod.«
»Gehen Sie, Mrs. Wheeler. Lassen Sie mich allein. Bitte, gehen Sie. Ich brauche die Hilfe Dr. Shindlers nicht.«
Daran zweifelte Mrs. Wheeler, aber sie konnte sich über die Wünsche ihres Chefs nicht hinwegsetzen. Ihr Blick streifte den Artikel in der Zeitung. Palance ließ die Hand schwer darauffallen.
»Würden Sie jetzt bitte gehen!« schrie er die
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