Glaub nicht es sei vorbei
blöd.«
»Nein. Ein bisschen wehleidig vielleicht, aber dazwischen taucht doch immer wieder die Mutter auf, die ich von früher kenne. Meine wunderschöne, schillernde Mutter, die das Leben liebte und sich wie ein Kind daran freuen konnte.«
»Ja, nicht wahr? Ich hätte nie gedacht, dass mir oder meinen Kindern jemals irgendetwas Schlimmes zustoßen könnte.« Sie trocknete sich die Augen am Ärmel ihres Morgenmantels und blickte zu Rebekka auf. »Als ich hörte, was sich in der Bibliothek abgespielt hat, brach ich zusammen. Natürlich war schon vorher nichts mehr mit mir anzufangen — den ganzen Tag Wein, die Szene beim Abendessen, Frank, der mich auf mein Zimmer schickte wie ein unartiges Kind —, aber wenn es sein muss, kann ich mich auch zusammenreißen. Normalerweise. Als ich jedoch hörte, dass du nicht nur diesem Mädchen das Leben gerettet hast, sondern dabei auch selbst verletzt worden bist, haben meine Nerven nicht mehr mitgespielt. Betty sagte mir zwar, dass es dir gut ginge, aber Betty will mich ja immer schonen.«
»Sonia ist viel schlimmer verletzt worden als ich — man hat sie mithilfe eines Elektroschockers außer Gefecht gesetzt —, aber jetzt geht es ihr schon wieder gut.«
»Trotzdem, Rebekka, du hast dem Mädchen das Leben gerettet! Bist einfach zu ihr reingelaufen, ohne an deine eigene Sicherheit zu denken! So etwas könnte ich nie. Meine Mutter schon, aber ich nicht. Deshalb komme ich mir so schrecklich unnütz vor. Ich habe nicht nur große Achtung vor dir, sondern ich beneide dich auch, weil du so viel stärker bist als ich.«
Rebekka drückte ihre Mutter an sich. »Du hast eben nicht das zweite Gesicht, so wie Großmutter Ava und ich. Und du möchtest es auch gar nicht haben, weil es dir Angst macht. Glaube mir, Großmutter hat es ebenso wenig verstanden, wie ich es verstehe. Und darum gebeten haben wir auch nicht. Aber meine Vision von Sonia hat mich dazu gebracht, in die Bibliothek zu eilen und sie zu beschützen, so wie du Jonnie beschützt hättest, wenn es möglich gewesen wäre. Jeder ist notfalls zu Handlungen fähig, die er sich vorher nicht zugetraut hätte — auch du. Und das sage ich nicht nur, um dich aufzuheitern. Ich glaube es wirklich. Du flüchtest dich nur immer wieder in den Alkohol, weil du glaubst, dass du keine innere Stärke besitzt. Aber das kann gar nicht sein. Ava war die stärkste Frau, der ich je begegnet bin. Auch ich bin angeblich stark — glaubst du denn, dass all diese starken Gene dich einfach übersprungen haben? Würde das denn einen Sinn ergeben?«
Suzanne schniefte. »Schon möglich.«
»Das kann ich nicht akzeptieren. Ich glaube, dass deine Mutter nur ziemlich dominant war und dir unklugerweise beigebracht hat, dass deine Rolle im Leben nur darin bestünde, dekorativ zu sein. Und Daddy hat dasselbe getan, auch wenn ich ihn vergöttere. Ich glaube, dass du das Opfer eines Erziehungsfehlers bist und überhaupt nicht an einer Charakterschwäche leidest.«
Suzanne sah sie an, blinzelte mit tränenschweren Wimpern und sagte mit dem Anflug eines Lächelns: »Mir dreht sich der Kopf. Ich hätte dich nicht aufs College schicken dürfen. Ich verstehe kein Wort mehr von dem, was du sagst.«
»Doch, das tust du.« Rebekka umarmte sie noch einmal. »Bitte geh jetzt zu Frank und versprich ihm, dass du mit dem Trinken aufhören wirst.« Sie grinste. »Und hör um Himmels willen auf zu singen.«
»Ich werde heute Abend ausnahmsweise darauf verzichten.« Suzanne lachte. »Ich werde mich brav auf mein Zimmer zurückziehen und lesen. Wie klingt das?«
»Es wäre ein Segen für uns alle. Ich fahre zu Molly.«
Etwas zögernd küsste Rebekka ihre Mutter auf die Stirn. »Mach's gut, Mutter.«
Suzanne umarmte sie leidenschaftlich. »Du auch, mein geliebtes Mädchen. Und sei vorsichtig, ich will nicht auch noch dich verlieren. «
Rebekka rannte auf ihr Zimmer und fühlte sich unglaublich beschwingt. Sie hatte in der Umarmung ihrer Mutter echte Zuneigung gespürt und erkannte plötzlich, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte. Viele traumatische Erlebnisse ließen sich auf diese Weise wettmachen, selbst das von letzter Nacht.
Sean sah sie bittend an, als sie ihre blassen Lippen mit ein wenig rotem Lipgloss auffrischte und nach ihrer Handtasche griff. Sie blickte ihn an. »Wir beide waren in letzter Zeit viel zu oft voneinander getrennt. Bestimmt gefällt es dir bei Molly, und ich könnte einen Beschützer brauchen. Wie wäre es, wenn du mir heute Gesellschaft
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