Glaub nicht es sei vorbei
grinste. »Ich mache nur Spaß. Mit ihm kann man sich so was erlauben. Herumalbern, meine ich. Einige Ärzte halten sich ja für Gott den Allmächtigen. Aber nicht Doc Bellamy. Auf alle Fälle hat er schon zweimal nach Ihnen gesehen. Er wird zurückkommen. Und der kleine Ellis will Sie auch sehen. Sie müssen aber nicht mit ihm sprechen.«
»Aber ich möchte es wirklich. Würden Sie ihn hereinholen, wenn Sie fertig sind?«
Kurz darauf kam ein spindeldürrer Junge von ungefähr vierzehn Jahren mit zerzausten schwarzen Haaren und Pickeln im Gesicht in die Notaufnahme. Er trug weite Jeans, die ihm jeden Augenblick von den nicht existierenden Hüften zu rutschen drohten, und ein riesiges T-Shirt. Sonia war eine Schönheit. Cory dagegen mit seinem langen Hals, dem ausgeprägten Adamsapfel und den riesigen hervortretenden Augen erinnerte Rebekka unwillkürlich an Ichabod Crane. »Wie geht's?«, fragte er.
»Gut, danke«, antwortete Rebekka. »Du hast die Tür zum Pioniersaal eingetreten.«
»Das Glas war fast nicht kaputt zu kriegen.«
»Hochsicherheitsglas. Ich nehme an, das Bibliotheksgremium hat Angst, dass jemand sich an den Pfeilspitzen aus Feuerstein vergreifen könnte, dabei ist der Boden in dieser Gegend doch voll davon.« Corys Lachen brach als zweioktaviges Quäken aus ihm heraus. Er wurde knallrot und blickte betreten auf seine Füße. »Warum warst du eigentlich in der Bibliothek, Cory? Am Telefon hast du dir noch keine Sorgen um Sonia gemacht.«
»So war's ja auch, aber nachdem ich aufgelegt hatte, hatte ich plötzlich ein ganz komisches Gefühl. Sie redet andauernd davon, dass keiner ihr glauben will, was passiert ist, als sie den Kleinen entführt haben. Ich meine, wegen der Krankenschwester, die daheim war, obwohl sie ausgesagt hat, dass sie nicht daheim war. Und Sie haben auch so komisch geklungen — nicht lustig-komisch, sondern unheimlich-komisch, meine ich. Dann kam mir plötzlich der Film Planet der Affen in den Sinn.«
Rebekka starrte ihn verblüfft an. »Was hat der denn damit zu tun?«
»Na ja, in diesem Film ist auch nichts so, wie es zu sein scheint, und Sie haben das verstanden und ihn nicht blöd gefunden, deshalb können Sie vielleicht unter die Oberfläche sehen.« Rebekka verstand zwar die Logik nicht ganz, nickte aber. »Dann habe ich mit jemandem geredet, der Sie kennt, und erfahren, dass Sie hellsehen können. Das finde ich ganz schön cool, so Akte-X-mäßig. Ich kann es vielleicht auch, was meinen Sie?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Rebekka matt.
»Aber wenn ich es könnte, müsste ich doch wissen, wo meine Mom ist«, sagte Cory, den die Abwesenheit seiner Mutter sichtlich zu beunruhigen schien, obwohl er sich seine Angst nicht anmerken lassen wollte. »Ich meine, sie lässt sich sonst keine Chorprobe entgehen. Aber in letzter Zeit müssen Sonia und ich am Sonntag nicht mehr in die Kirche gehen. Vielleicht hat das etwas zu bedeuten.«
Vielleicht heißt es nur, dass sie nicht mehr regelmäßig an den Chorproben teilnimmt und deshalb am Sonntag nicht mehr im Chor singen kann. Und wenn ihr zur Messe gehen würdet, müsste sie euch diesen Umstand erklären, dachte Rebekka. »Vielleicht weiß Frank — Mr. Hardison, der Chef deiner Mutter —, wo sie sein könnte. Warum sprichst du nicht mit ihm?«
»Woher soll der denn wissen, wo sie ist?«, fragte Cory, und seine Stimme machte sich erneut selbständig. »Will er sie denn feuern?«
»Nein, sicher nicht. Er hält sehr viel von ihr.« Und ich kann nicht mehr, dachte Rebekka.
»Ach so, Sie können ja hellsehen«, sagte Cory aufgeregt. »Sie wissen, dass er es weiß. Mann, ist das cool. An meinen Fähigkeiten muss ich noch feilen, sie schärfen.« Rebekka lächelte schwach. »Ich werde am besten gleich mit Mr. Hardison sprechen. Gute Besserung. Und danke, dass Sie Sonia gerettet haben. Ich meine, manchmal kann sie einem echt auf die Nerven gehen, aber ich würde nie wollen, dass sie stirbt oder so.«
Mit diesem überschwänglichen Gefühlsausbruch eilte Cory aus der Notaufnahme. Rebekka seufzte erleichtert auf und lächelte über Corys Wunsch, wie sie hellsehen zu können. Er wusste nicht, was er sich da wünschte.
Nach schier endlos langer Zeit kam Clay zu ihr. Auch er war vor Sorge ganz bleich, überspielte seinen Schrecken aber mit einem Scherz. »Ist es möglich, dich vor Ärger zu bewahren?«
»Ich glaube nicht.«
»Ich habe ein Dutzend Versionen dessen gehört, was passiert ist. Versprichst du mir, später die einzig
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