Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
fahren, sagte sie. Besser gesagt, sie wolle sich nicht allein mit Tim auseinandersetzen. Der Junge sei ziemlich durcheinander. Sie würde sich wohler fühlen, wenn Freddie sie begleitete.
Selbstverständlich erklärte sich Freddie dazu bereit. Wann hatte er ihr schon einmal etwas abgeschlagen? »In zehn Minuten am Auto«, sagte er und begann, den Computer herunterzufahren und den Schreibtisch aufzuräumen.
Als er auf dem Parkplatz erschien, saß sie bereits am Steuer. Er öffnete die Beifahrertür und fragte: »Soll ich nicht lieber fahren?«
»Möglicherweise muss einer von uns aussteigen und ihn festhalten, und es wäre mir lieber, wenn du das machst«, sagte sie.
Sie fuhren über die Küstenstraße an der Bucht entlang und schafften es in kürzester Zeit nach Grange-over-Sands. Als sie vor dem weiß getünchten Haus hielten, verabschiedete Niamh sich gerade liebevoll von demselben Mann, dem Manette bereits bei ihrem letzten Besuch begegnet war. Charlie Wilcox, der Besitzer des berühmten China-Imbiss in Milnthorpe, dachte sie und nannte Freddie den Namen. Sie brauchte ihm nicht zu erklären, welche Rolle der Mann im Leben von Tims und Gracies Mutter spielte.
Niamh hatte ihren Morgenmantel nur nachlässig zugebunden, und es war eindeutig, dass sie nichts darunter anhatte. Charlie trug noch die Ausgehkleidung vom Vortag: schwarzes Jackett, schwarze Hose, weißes Hemd und eine Krawatte, die verwegen locker an seinem Hals baumelte. Als Niamh Manettes Auto erblickte, umschlang sie Charlie mit einem Bein und rieb sich mit dem Becken an ihm, während sie ihn leidenschaftlich küsste.
Manette seufzte. Sie schaute Freddie an. Er errötete und warf ihr einen vielsagenden Blick zu. Sie zuckte nur die Achseln.
Als die Knutscherei beendet war, stiegen sie aus, während Charlie mit entrücktem Blick zu seinem Saab ging, der in der Einfahrt stand. Im Vorbeigehen nickte er ihnen völlig unbefangen zu. Er schien hier ganz selbstverständlich ein und aus zu gehen, um Niamh zu geben, was sie brauchte, dachte Manette. Wie der Klempner, der die verstopften Rohre freilegt. Mit einem verächtlichen Schnauben ging sie zum Haus.
Niamh hatte die Tür offen gelassen, so dass Manette und Freddie eintreten konnten. Sie schlossen die Tür hinter sich.
»Ich komme gleich!«, rief Niamh. »Ich ziehe mir nur schnell was Anständiges an.«
Sie gingen ins Wohnzimmer, wo noch die Spuren des gestrigen Abends zu sehen waren: eine leere Weinflasche, zwei Gläser, eine Platte mit Käse- und Schokoladenkrümeln, Sofakissen auf dem Boden und daneben Niamhs Kleider auf einem Haufen. Offenbar wusste Niamh sich zu amüsieren, dachte Manette.
»Sorry, bin noch nicht zum Aufräumen gekommen.«
Manette und Freddie drehten sich um. Sie trug einen hautengen, einteiligen, schwarzen Gymnastikanzug und darunter offenbar keinen BH, so dass sich ihre Brustwarzen deutlich abzeichneten.
Manette warf Freddie einen Blick zu. Er schaute aus dem Fenster und genoss die herrliche Aussicht auf die Bucht. Es herrschte Ebbe, und im Watt tummelten sich Tausende von Regenpfeifern und Möwen, die Freddie, der sich eigentlich gar nicht für Vögel interessierte, aufmerksam beobachtete. Seine Ohren leuchteten knallrot.
Mit einem durchtriebenen Grinsen fragte Niamh: »Was kann ich für euch tun, ihr zwei?«, und begann, das Wohnzimmer aufzuräumen: Sie schüttelte die Kissen auf und stellte sie ordentlich aufs Sofa, sammelte die leere Weinflasche ein und trug sie zusammen mit den Gläsern und der Platte in die Küche, wo die Reste eines chinesischen Essens herumstanden. Offenbar versorgte Charlie Niamh in mehrerer Hinsicht. Der arme Trottel, dachte Manette.
Manette sagte: »Ich habe dich angerufen. Hast du das Telefon nicht gehört?«
Niamh machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich geh nie ans Telefon, wenn Charlie hier ist. Das tätest du doch auch nicht an meiner Stelle, oder?«
»Ich würde auf jeden Fall ans Telefon gehen, wenn ich mitbekäme, dass jemand eine Nachricht auf den Anrufbeantworter spricht, die etwas mit meinem Sohn zu tun hat.«
Niamh stand an der Küchenanrichte und untersuchte die Behälter aus dem China-Imbiss, um zu sehen, ob sie noch etwas Essbares enthielten. »Tim? Was ist mit ihm?«, fragte sie.
Manette spürte, wie Freddie hinter ihr in die Küche kam, und trat zur Seite, um ihm Platz zu machen. Sie schaute ihn an. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und betrachtete das Chaos in der Küche. Freddie konnte so einen Saustall
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