Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
verhelfen.« Und das hatte er getan. Natürlich nicht auf einen Schlag, sondern ganz allmählich, und mit der Zeit war es ihm ebenfalls gelungen, Valerie mit seiner beharrlichen Verehrung zu beeindrucken. Außerdem hatte er die junge Frau geschwängert, als diese fünfundzwanzig Jahre alt war, woraufhin die beiden durchgebrannt waren und heimlich geheiratet hatten. Wenig später hatte Bernie ihren Familiennamen angenommen, die Effizienz der Firma verbessert, ihre Produkte modernisiert, darunter – ausgerechnet – eine ganze Serie topmoderner Toiletten, die ihm ein eindrucksvolles Vermögen eingebracht hatten.
Bernies Sohn Nicholas war von Anfang an der Schandfleck im ansonsten perfekten Leben des Bernie Dexter gewesen. Lynley fand stapelweise Informationen über den jungen Mann. Denn immer wenn Nicholas Fairclough wieder einmal auf Abwege geriet, dann tat er das vor den Augen der Öffentlichkeit. Trinkgelage, Schlägereien, Einbrüche, Rowdytum auf Fußballplätzen, Trunkenheit am Steuer, Autodiebstahl, Brandstiftung, Exhibitionismus unter dem Einfluss von Drogen … Der Mann hatte eine Vergangenheit, die sich las wie die Geschichte vom verlorenen Sohn auf Anabolika. Er hatte seinen Verfall vor den Augen Gottes, der Allgemeinheit und vor allem der Presse in Cumbria zelebriert, und die Artikel, die die Lokalblättchen über ihn gebracht hatten, hatten die Aufmerksamkeit der landesweit vertriebenen Boulevardblätter erregt, die ständig auf der Suche waren nach irgendeiner Sensation für ihre Aufmacher. Vor allem wenn die Sensation von einem Spross aus namhaftem Hause verursacht wurde.
Menschen, die ein Leben führten wie Nicholas Fairclough, wurden für gewöhnlich in jungen Jahren vom Tod ereilt, er aber war von der Liebe errettet worden, die ihm in Gestalt einer jungen Argentinierin mit dem eindrucksvollen Namen Alatea Vasquez del Torres begegnet war. Nach einer erneuten Entziehungskur war Nicholas nach Park City in Utah gefahren, um sich wie üblich auf Kosten seines verzweifelten Vaters eine angemessene Reha zu gönnen. Das ehemalige Bergarbeiterstädtchen eignete sich hervorragend für einen Entspannungsurlaub, denn es lag in einem hübschen Tal in den Wasatch Mountains und zog jedes Jahr von November bis April begeisterte Skiläufer an sowie Scharen von jungen Frauen und Männern, die als Servicepersonal eingestellt wurden.
Alatea Vasquez del Torres gehörte zu der letzteren Gruppe, und laut einem besonders reißerischen Artikel haben sich die beiden zum ersten Mal an der Kasse eines Schnellrestaurants in die Augen geblickt. Es kam, wie es kommen musste. Es folgte ein stürmisches Liebeswerben, die standesamtliche Trauung in Salt Lake City, ein letzter Absturz in den Drogensumpf – seltsame Art, eine Hochzeit zu feiern, dachte Lynley. Aber Nicholas erhob sich wie Phoenix aus der Asche und überwand seine Sucht, als seine junge Frau ihn knapp zwei Monate nach der Hochzeit verlassen hatte.
»Ich würde alles für sie tun«, hatte Fairclough später erklärt. »Ich würde für sie sterben. Ihr zuliebe eine Entziehungskur zu machen, war ein Kinderspiel.«
Sie war zu ihm zurückgekehrt, er war clean geblieben, und alle waren glücklich. Das zumindest legten sämtliche Berichte nahe, deren Lynley innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden seiner Nachforschungen über die Familie Fairclough habhaft werden konnte. Falls Nicholas also auf irgendeine Weise in den Tod seines Vetters verwickelt war, wäre das merkwürdig. Denn es war kaum davon auszugehen, dass seine Frau einem Mörder treu zur Seite stehen würde.
Lynley suchte nach Informationen über die anderen Familienmitglieder, aber das wenige, das er fand, ließ sie im Vergleich zu Lord Faircloughs Sohn ziemlich langweilig erscheinen. Eine Schwester geschieden, eine andere eine alte Jungfer, ein Vetter – vermutlich der Tote – der Hüter des Vermögens der Faircloughs, die Frau des Vetters Hausfrau, die beiden Kinder brav … Die Faircloughs waren extrem unterschiedlich, aber auf den ersten Blick wirkten sie alle unbescholten.
Am Ende des zweiten Tages seiner Nachforschungen stand Lynley am Fenster seiner Bibliothek in Eton Terrace und schaute auf die Straße hinaus. Hinter ihm brannte das Gasfeuer im Kamin. Ihm war nicht wohl bei der ganzen Sache, aber er wusste auch nicht, wie er etwas daran ändern sollte. Seine Aufgabe als Polizist war es, Beweise für die Schuld eines Menschen zusammenzutragen, und nicht Beweise für jemandes Unschuld zu sammeln.
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