Glauben Sie noch an die Liebe
wir da hingehen, kannst du die und die Hose anziehen, und kannst du dir noch mal die Haare kämmen?« Aber da ist ja etwas Rührendes dahinter.
Sie sorgen sich eben, dass die Mutter sich blamieren könnte.
Genau, und sie möchten vor ihren Freunden bestehen. Das ist aber auch eine Form der Liebeserklärung. Sie sagen damit: »Ich möchte, dass du angemessen rüberkommst, weil du mir wichtig bist.«
Sind Sie eine strenge Mutter?
Es geht. Wenn es Winter ist und bitterkalt, und meine damals vier Jahre alte Tochter will unbedingt ohne Handschuhe und Mütze raus und macht ein Affentheater, dann sage ich: »Gut, dann gehst du jetzt mal raus ohne Mütze und Handschuhe.« Schlimmstenfalls erkältet sie sich, doch vorher wird sie jämmerlich frieren und schnell einlenken. Wenn es aber darum geht, an einer Straße zu spielen, wo Autos fahren, ist Schluss. Keine Diskussion! Da werde ich autoritär und knallhart.
Können Sie es nachvollziehen, wenn Eltern ihre Kinder schlagen oder verwahrlosen lassen?
Überhaupt nicht.
Warum passiert das trotzdem, wenn die Liebe so natürlich ist, wie Sie sagen?
Eigentlich hat man als Vater oder Mutter einen tiefsitzenden Instinkt, der einen vor solchen Taten schützt. Die Bindungsforschung zeigt, dass gewalttätige Eltern oft selbst Schreckliches erlebt und nie erfahren haben, wie sich liebevolle Eltern verhalten. Es gibt Therapieansätze, die den jungen, gefährdeten Eltern mühsam beibringen, wie man sein Kind liebt und seinen Zorn kanalisiert. Ich habe als Mutter viel von dem imitiert, was ich selbst als Kind erlebt und als gut empfunden habe. Ich nehme an, dass auch meine Kinder viel in die nächste Generation weitertragen werden.
Können Sie sich vorstellen, dass die Liebe zu Ihren Kindern eines Tages verschwinden könnte?
Nein, das kann ich nicht. Ich kann mir theoretisch vorstellen, dass Verletzung und Enttäuschung alles überdecken. Das habe ich schon bei Freunden erlebt.
Die meisten Morde passieren innerhalb der Familie.
Wo tief geliebt wird, kann wohl auch tief gehasst werden. Aber das hat wahrscheinlich eher mit der Liebe zwischen Mann und Frau zu tun. Wenn Kinder kriminell werden, spiegeln sie oft, was sie über die Beziehung gelernt haben, die die Eltern geführt haben. Wenn einer von beiden herabsetzend ist, zynisch, spöttisch gegenüber dem anderen, dann ist es in der Familie gewissermaßen legitim, dass man so miteinander umgeht. Die Kinder lernen, wie man den anderen fertigmacht, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Mechanismen von der nächsten Generation übernommen werden.
In der romantischen Liebe heißt es oft, der Schmerz gehöre dazu, der Liebeskummer, die Eifersucht, der Zorn.
In der romantischen Liebe ist das sicher so, aber nicht in der Liebe zum Kind. Zur Liebe zum Kind gehört eher die Sorge, die Kleinen könnten krank werden, es könne ihnen schlecht ergehen, sie finden keine Freunde. Meine Kinder sind 24, 22, 20, 18, 14 und 12 Jahre alt. Rückblickend weiß ich jetzt, was alles gut gegangen ist. Das entspannt. Pubertät ist anstrengend, aber sie kann mich nicht mehr wirklich erschüttern.
Waren Sie schon einmal eifersüchtig?
Ich kenne sehr wohl Eifersucht, aber nicht auf meine Kinder.
Aber Ihre Söhne hatten doch schon Freundinnen, oder?
Das schon, aber das waren alles nette, unkomplizierte Mädchen. Die Hoffnung oder Sorge, dass die Kinder glücklich heiraten, ist aber immer da. Denn ich weiß, dass das mehr als vieles andere ihr Leben beeinflussen wird.
Ist die Pubertät eine besonders schwierige Zeit gewesen?
Ja, und jedes Kind ist anders. Meine Kinder waren oder sind dann wirklich verletzend und grenzen sich ab. Aber das muss sein. Sie müssen sich ja abnabeln. Ich bin mittlerweile bei den Jüngeren entspannter, weil ich weiß, dass das dazugehört. Wenn meine Tochter in Bruchteilen von Sekunden zwischen hinreißend und unerträglich schwankt und ich Unverschämtheiten und Zärtlichkeiten um die Ohren geknallt bekomme, dann weiß ich aus Erfahrung, dass sich das alles wieder legt. Beim ersten Kind habe ich noch versucht zu argumentieren, dabei lohnte diese Mühe gar nicht. In der nächsten Sekunde sind sie meistens schon wieder hinreißend.
Sie sind mit der Zeit also entspannter geworden?
Ja, weil ich weiß, dass es in der Pubertät auf ganz andere Sachen ankommt, damit es gut geht. Man muss den Kontakt zu den Kindern halten, ganz egal, wie unverschämt sie sind, damit die innere Bindung bleibt und nicht das große Schweigen
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