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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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langsamer vorangeht?«
    »Zeit spielt keine so große Rolle.«
    »Es hätte mir auch überhaupt nicht gefallen, irgendwo hinzufahren, wo Zeit eine Rolle spielt oder wo du schon mal gewesen bist. Wenn wir zusammen sind, soll es keine Erinnerungen geben.«
    Auch wenn er nicht ganz sicher war, daß ihre Worte tatsächlich ihre Gedanken ausgedrückt hatten, fühlte er sich durch die bloße Vorstellung schon erleichtert.

    Der Bahnhof von Holihaven konnte kaum in der Blütezeit der Stadt erbaut worden sein, denn die hatte im Mittelalter gelegen; doch immer noch ließ die Station gewichtigere Aufgaben erahnen, als sie tagtäglich zu bewältigen hatte. Die Bahnsteige waren lang genug für die Einfahrt von Londoner Expreßzügen, die sich jedoch mittlerweile anderen Zielen zugewandt hatten, und die Architektur der Wartesäle wäre durchaus angemessen gewesen für den gelegentlichen Besuch hochrangiger Staatsgäste. Öllampen auf Fackelhaltern, den Kletterstangen von Papageien nicht unähnlich, warfen ihr flackerndes Licht über das uniformierte Bahnhofspersonal, das zwei Seelen zählte und, wie alle Bewohner Holihavens, sturmerprobt und seefest aussah.
    Stationsvorsteher und Gepäckträger, als Gerald die beiden identifizierte, sahen zu, wie er mit einem schweren Koffer in jeder Hand den langen Bahnsteig entlangkam, während Phrynne in ihrem anmutig wiegenden Gang an seiner Seite einherschritt. Er gewahrte, wie einer der beiden eine Bemerkung an den anderen richtete. Hilfe indessen bot ihm keiner an. Gerald mußte die Koffer absetzen, um die Fahrscheine vorzuzeigen. Die anderen Passagiere waren längst verschwunden.
    »Wo finde ich die ›Glocke‹?«
    Gerald hatte das Hotel in einem Reiseführer verzeichnet gefunden. Es war die einzige für Holihaven angegebene Unterkunftsmöglichkeit. Doch während Gerald noch sprach und bevor der Stationsvorsteher antworten konnte, erscholl in der Dunkelheit unvermittelt der tiefe Klang einer Glocke.
    Gerald ignorierend, wandte sich der Stationsvorsteher, wenn er denn einer war, an seinen Kollegen. »Fangen früh an.«
    »Ha’m auch allen Grund, zeitig anzufangen«, erwiderte der andere.
    Der Stationsvorsteher nickte und stopfte Gerald Fahrscheine achtlos in seine Jackentasche.
    »Könnten Sie mir wohl freundlicherweise sagen, wie ich zum Hotel ›Glocke‹ komme?«
    Der Stationsvorsteher wandte seine Aufmerksamkeit wieder Gerald zu. »Ha’m Sie gebucht?«
    »Natürlich.«
    »Für heute nacht?« Der Stationsvorsteher wirkte unangemessen argwöhnisch.
    »Selbstverständlich.«
    Wieder warf der Stationsvorsteher dem anderen Mann einen bedeutungsvollen Blick zu.
    »Diese Pascoes!«
    »Ja«, mischte sich Gerald ein. »Das war der Name. Pascoe.«
    »Wir geh’n nich’ in die ›Glocke‹«, erläuterte der Stationsvorsteher. »Aber Sie finden sie in der Wrack Street.« Er vollführte einige vage und wenig hilfreiche Gesten. »Immer geradeaus. Die Station Road ’runter. Dann die Wrack Street lang. Is’ nich’ zu verfehlen.«
    »Ich danke Ihnen.«
    Sobald sie die Grenzen der Stadtbebauung erreicht hatten, begann die große Glocke regelmäßig zu läuten.
    »Was für enge Sträßchen!« ließ sich Phrynne vernehmen.
    »Sie folgen den verwinkelten Gassen der mittelalterlichen Stadt. Bevor der Fluß versandete, war Holihaven einer der wichtigsten Seehäfen Großbritanniens.«
    »Wo sind die Leute nur alle?«
    Obwohl es gerade erst sechs Uhr war, schien der Ort vollkommen ausgestorben.
    »Und wo ist bloß das Hotel?« stimmte Gerald ein.
    »Armer Gerald! Laß mich dir helfen.« Sie legte ihre Hand neben seine und schloß sie um den Griff des Koffers, doch da sie an die vierzig Zentimeter kleiner war als er, konnte sie ihn nur wenig entlasten. Sie mußten schon mehr als vierhundert Meter gegangen sein. »Glaubst du, daß wir in der richtigen Straße sind?«
    »Höchstwahrscheinlich nicht. Aber da ist ja niemand, den wir fragen könnten.«
    »Vielleicht haben die Geschäfte heute nachmittag geschlossen.«
    Die zunächst vereinzelten tiefen Glockenschläge erfolgten nun in kürzeren Abständen.
    »Warum läuten sie? Eine Beerdigung?«
    »Ein bißchen spät für eine Beerdigung.«
    Sie sah ihn ein wenig ängstlich an.
    »Jedenfalls ist es nicht kalt.«
    »Wenn man bedenkt, daß wir uns an der Ostküste befinden, ist es sogar erstaunlich warm.«
    »Nicht, daß mir das etwas ausmachen würde.«
    »Ich hoffe nur, diese Glocke wird nicht die ganze Nacht über anschlagen.«
    Sie zerrte an dem einen

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