Glücksfall
keinen Fall wollte ich mit ihm sprechen. Ich müsste ihm sagen, dass ich mit Wayne nicht weitergekommen war, und davor fürchtete ich mich schrecklich.
Aber noch während ich darüber nachdachte, wurde mir klar, dass ich keine Wahl hatte, denn wenn Harry Gilliam mit mir sprechen wollte, musste ich mit ihm sprechen.
Ich wartete, dass das Klingeln aufhörte. Aber, ich wusste es doch, es fing im nächsten Moment wieder an. Widerstrebend ging ich dran. »Hallo.«
»Machen Sie das nicht wieder, Helen«, sagte er.
»Was?«
»Wenn ich anrufe, dann gehen Sie gefälligst dran«, sagte er.
»Ist gut.« Ich seufzte. Was sollte ich es leugnen? Er durchschaute mich.
»Ich bin ein viel beschäftigter Mann, ich habe keine Zeit für solche Spiele.«
»Entschuldigung.«
»Welche Neuigkeiten haben Sie für mich?«
»Ich verfolge verschiedene Spuren.«
»Er wird also am Mittwoch auf der Bühne stehen?«
»Ja.«
Pause. Dann sagte er mit kalter, drohender Stimme: »Sie halten mich nicht zum Narren, oder?«
»Nein«, sagte ich.
»Nein?«
»Doch. Ja, doch. Ich sage, was Sie hören wollen, weil ich Angst vor Ihnen habe. Aber Sie könnten uns beiden helfen.«
»Und wie sollte ich das tun?«
»Sie wissen Dinge, die Sie mir nicht sagen.«
»Ich? Woher sollte ich irgendetwas wissen? Ich trainiere nur meine Hühner.«
Ich gab auf. »Natürlich, natürlich, und wie geht es mit den Hühnern?«
»Viel zu tun.«
»Tatsächlich.«
»Ich habe ein neues Huhn. Ich setze große Hoffnung darauf. Lassen Sie mich nicht im Stich, Helen.«
Er legte auf.
Ich brauchte mehrere Minuten, um mich von dem Ge spräch zu erholen. Ich saß im Auto, das Telefon in der Hand, und wartete darauf, dass die schrecklichen Gefühle sich verflüchtigten. Als sie endlich wieder erträglich waren, blickte ich voller Hoffnung auf mein Telefon und bemerkte erfreut, dass eine neue Mail eingegangen war. Meine Dankbarkeit stieg ins Unermessliche, als ich sah, dass sie von dem Telefonmann stammte – die Aufschlüsselung von Waynes Telefondaten! Das war der Schlüssel zu allem. Wayne war praktisch schon gefunden.
Dann las ich die Mail und musste sehr an mich halten, um vor Verzweiflung nicht laut aufzuheulen. Es war nur der vorläufige Bericht, eine Antwort auf meine panische Nachfrage, die ich vor Kurzem geschickt hatte. Genaue Angaben würde er morgen schicken. Was mir der Telefonmann aber jetzt schon sagen konnte, war, dass Waynes Handy am Donnerstag um 12.03 Uhr abgeschaltet und seitdem nicht wieder angeschaltet worden war.
Entsetzt starrte ich auf das Display. Das war schlecht, extrem schlecht.
Ich rechnete nach – knapp drei oder vier Minuten, nachdem Wayne von Digby abgeholt worden war, hatte er sein Handy abgeschaltet. Oder hatte jemand anders es für ihn getan?
Das war viel ominöser als die Tatsache, dass Wayne seine Kreditkarten nicht benutzt hatte. Wer kann ohne sein Telefon überleben? Ich nicht. So einfach war das.
Vielleicht hatte Wayne das auch gar nicht überlebt …?
Zeezahs Stimme aus dem Radio lenkte mich von diesem schrecklichen Gedanken ab. Ich stellte das Radio lauter. War vielleicht ganz gut, zuzuhören.
Seán Moncrieff fragte sie nach ihrer Schwangerschaft, und sie gab zu – wobei sie sich recht zierte –, dass sie, ja doch, dass sie schwanger sei.
»Wissen Sie schon, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird?«, fragte er.
Diese Art von flauschigem Interview war unter Seáns Würde, das musste ich ehrlich sagen. Meistens konnte er neben den besten Köpfen im Land bestehen und noch das abgehobenste Thema zugänglich und interessant erscheinen lassen.
»Nein, wir sind uns einig, dass wir das Geschlecht unseres Kindes nicht vorher wissen wollen.«
»Hauptsache, es ist gesund?« Ich hätte schwören können, dass in Seáns Stimme ein Hauch von Ironie mitschwang.
»Richtig. Hauptsache, es ist gesund.«
»Dann haben Sie sich auch noch nicht für einen Namen entschieden?«
»Doch, das schon.« Zeezah lachte bezaubernd. »Wenn es ein Junge ist, nennen wir ihn Romeo, ist es ein Mädchen, dann heißt es Roma.«
»Ist der Grund dafür der, dass das Baby in Rom gezeugt wurde?« Seán entging aber auch nichts.
»Ja.« Wieder ein bezauberndes Lachen. »Auf unserer Hochzeitsreise.«
Moment mal. Rom?
Rom?
Ach so. Rom.
59
E inen Moment lang überlegte ich, nicht anzurufen und stattdessen, zum zweiten Mal an diesem Tag, den ganzen Weg nach County Cork zu fahren und sie direkt zu konfrontieren, aber die Zeit war knapp, weshalb ich
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