Glücksfall
Dann lächelte er. Es war ein so böses, böses Lächeln – nie hatte ich mehr bedauert, dass sein Büro aus Glas war.
28
U nd jetzt? Ich sollte Jay Parker über die neuesten Entwicklungen unterrichten. Aber ehrlich gesagt war es mir nicht recht, dass das Ganze für mich schon vorbei sein sollte. Zwar hatten Daisy und Cain mich in panische Angst versetzt, aber die Arbeit hatte mir Spaß gemacht, und sie hatte mich abgelenkt. Jetzt spürte ich, wie die Schwärze, die über mir schwebte und die ich hatte fernhalten können, solange ich nach Wayne suchte, sich auf mich senken wollte. Die Dunkelheit wurde noch verstärkt durch meine Sorgen um Wayne. Wer hatte ihn entführt? Wo war er jetzt?
Um den Fall noch fünfzehn Minuten in die Länge zu ziehen, beschloss ich, Jay von Angesicht zu Angesicht zu informieren.
Die ganze Woche über hatten die Laddz im Europa Music Drome geprobt, wo die Konzerte stattfinden sollten, und es bestand die Chance, dass ich ihn dort antreffen würde.
Für irische Verhältnisse war das MusicDrome, das fünfzehntausend Zuschauer fasste, gigantisch. Die Halle lag größtenteils im Dunkeln. Die Tribünen mit den leeren Sitzplätzen stiegen in finstere Höhen auf und wirkten bedrohlich und düster. Aber die Bühne war hell erleuchtet und wimmelte von Menschen – Choreografen, Beleuchter, Kostümfrauen, Techniker, Roadies mit langen Mähnen –, sie alle eilten umher und sahen sehr geschäftig aus. Auf der riesigen Bühne, inmitten der anderen Menschen, übten die Laddz ein paar Tanzschritte, über die selbst ich in meinem benommenen Zustand grinsen musste. Frankie legte sich mächtig ins Zeug, er schlug sich auf die Brust, und seine Augen traten hervor. Roger St Leger neben ihm bewegte sich so gut wie gar nicht, und seine Verachtung für die ganze Prozedur sickerte aus jeder Pore seines Körpers. John Joseph strengte sich mehr an, die Tanzschritte richtig zu setzen, schließlich war er eine Art Vortänzer, aber man sah ihm an, dass es ihm peinlich war.
Der Typ am Ende der Reihe – wohl ein Techniker, der offensichtlich für Wayne einspringen musste – war der Einzige, der etwas taugte. Er war fantastisch, seine Bewegungen waren fließend und rhythmisch, daneben wirkten die anderen geradezu erbärmlich. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden.
Dann erkannte ich zu meiner Überraschung (von der extrem unangenehmen Sorte), dass es Jay Parker war. Er hatte Jackett und Krawatte abgelegt, die Hemdsärmel aufgekrempelt und schwang die Hüften.
Ich brauchte einen Moment, um mich wieder zu fangen. Sicher, Jay Parker war ein guter Tänzer – er hatte schon immer so etwas Schlüpfriges .
Als er mich sah, hörte er auf der Stelle mit seinen Hüftschwüngen auf. Er kam zu mir, zog mich in eine Ecke und sagte leise: »Hast du ihn gefunden?«
»Noch nicht.«
»Wo steckt er?«
Plötzlich tauchte John Josephs Gesicht neben Jay auf. Dann war Zeezah auch da. Woher war sie plötzlich gekommen?
Ich machte den Mund zu. Diskretion war geboten.
»Sprich ruhig weiter«, sagte Jay. »Hier gibt es keine Geheimnisse.«
»Also«, sagte ich, »ich habe Aussagen von Augenzeugen, dass Wayne gestern Morgen entführt wurde.«
»Was?« Selbst Jay schien schockiert.
»Er wurde von mindestens zwei Männern in einem schwar zen SUV weggebracht.«
»Aber wer sollte Wayne Diffney entführen?«, fragte Jay. »Und warum?«
»Das weiß ich nicht, aber die Polizei hat den Fall übernommen. Ich zieh mich da raus.«
»Was? Jetzt warte mal! Du hast die Polizei eingeschaltet? Ich habe doch gesagt, keine Polizei!« Jays Miene verdüsterte sich.
»Ein Mensch ist entführt worden«, sagte ich. »Das ist wichtiger als diese Show, die du hier aufführen willst.«
Jay blitzte mich an, dann hellte sich sein Gesicht auf, denn ihm dämmerte, wenn er mit der Situation klug umging, konnte er eine größere Publicity-Wirkung erzielen und mehr Karten verkaufen, als er sich in seinen wildesten Träumen ausgemalt hatte. Man konnte richtig sehen, wie sich die Rädchen in seinem Gehirn drehten, während er fieberhaft überlegte, wie er diese neuesten Entwicklungen so wenden konnte, dass sie am Ende Geld einbrachten. Herzzerreißende Aufrufe in den Sechs-Uhr-Nachrichten von Waynes Eltern, die flehten: »Bitte, lassen Sie unser Baby frei.«? Oder ein großes Getue um einen leeren weißen Hocker auf der Bühne, während die Band ihre Lieder sang?
Plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit auf John Joseph und Zeezah gelenkt. Sie hatten
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