Glückskekssommer: Roman (German Edition)
den Laden ein. Ich habe alle Hände voll zu tun. Heute schließe ich die Schneiderei erst um 19 Uhr – nach elf Stunden Arbeit. Meine Schultern spüre ich schon gar nicht mehr.
Oskar winkt vom ›Schraders‹ rüber und fragt, ob ich Lust auf ein Abendessen habe.
Das ist total nett, aber ich lehne trotzdem ab. Ich bin zu müde, will lieber nach Hause und die Beine hochlegen. Vielleicht noch ein wenig in den Fernseher schauen.
Im türkischen Supermarkt hole ich mir Salat, Schafskäse und arabisches Brot, das man so schön füllen kann, mit allem drin, was der Kühlschrank so hergibt. Das macht nicht viel Arbeit und ist einfach lecker. Und man kann auch nicht viel falsch machen.
Der Mann im Zeitungsladen am Eck ruft mich und winkt mit der neusten ›Gala‹, als er mich vorbeigehen sieht.
»Hey, Rosa, dein Lesestoff, noch druckfrisch.«
Seit ich nicht mehr zeichne und mir rosafarbene Tagträume ausdenke, lese ich nämlich in der U-Bahn Illustrierte. Das ist lustig, was die Stars so alles erleben. Scheidung hier, Geburt da, Fremdgehen dort. Ist schon spannend. Echt! Auf Seite fünf lacht mir heute Eva Andrees entgegen. Mein Herz pocht gleich ein bisschen schneller. Warum, weiß ich auch nicht.
Ich denke einen Moment an mein Kleid und wie schön sie aussah, als sie es getragen hat. Aber das war vor langer Zeit, als ich noch eine ganz andere Rosa war. Vorbei! Das interessiert mich nicht mehr.
Heute bin ich eine bienenfleißige Änderungsschneiderin, die gelernt hat, dass Träume nichts als Schäume sind.
Eva Andrees stellt in der Illustrierten ihr Ferienhaus auf Sardinien vor. Hier hat sie sich mit ihrem Mann ein kleines Paradies geschaffen, in dem sie ihre zwei erwachsenen Söhne sehr gern besuchen kommen. Außerdem hat sie mit ihrem eigenen Geld ein Tierheim aufgebaut. Dort kümmert sie sich, wenn sie Zeit hat, um Straßenhunde und heimatlose Katzen.
Na, da passt Vicki ja hervorragend in die Familie. Ihre Mutter war auch so eine Tiernärrin. Bestimmt ist Eva Andrees superstolz auf ihre erfolgreiche Fast-Schwiegertochter. Eine Bestsellerautorin! Das passt viel besser in die Familie als eine unscheinbare Schneiderin.
Als ich nach Hause komme, ist Vicki ausnahmsweise auch mal da. Ich rechne kurz nach. Wir haben uns zehn Tage nicht gesehen. Wir laufen immer aneinander vorbei. Ich frage mich, ob sie das so will?
Ich will es nicht.
»Hi«, sage ich. Ich freue mich riesig, sie zu sehen. Sie hat mir wirklich gefehlt. »Isst du mit mir? Ich habe was Türkisches.«
Sie grinst frech. »Okay, ich stelle schon mal ein paar Liter Wasser zum Löschen hin«, sagt sie dann.
»Musst du nicht«, antworte ich lachend. »Es ist nur Brot mit Schafskäse.«
Ich bin froh. Vicki wirkt entspannt. Vielleicht ist sie mir ja nicht mehr böse? Aber wir sollten trotzdem reden. Es ist mir wichtig, dass sie weiß, wie schön ich sie finde – egal, was sie trägt.
Ich hole tief Luft. Es fällt mir nicht gerade leicht. Aber es muss sein. »Vicki?«
»Mmh?«
»Ich … Ich habe all die doofen Bilder weggeschmissen. Es tut mir leid. Ich wollte … Ich dachte einfach, du würdest sie mögen.«
»Ist schon gut«, sagt sie lächelnd. »Ich habe viel zu heftig reagiert. Das ist wegen früher. Manchmal denke ich daran, wie ätzend das gewesen ist. Und dann bin ich auf einmal total empfindlich. Das hat gar nichts mit dir und deinen Bildern zu tun.«
»Glaube ich dir«, antworte ich.
Ich habe richtig große Lust, mit Vicki etwas zu unternehmen. »Wollen wir uns einen schönen Abend machen, heute oder demnächst?«, frage ich.
»Tut mir leid«, sagt Vicki. »Ich gehe nachher noch weg und morgen auch und übermorgen ist die Lesung.«
»Ach so«, rufe ich, bemüht locker zu klingen.
Aber es gelingt nur mittelmäßig, denn das tut mir jetzt weh. Ich bin – bis auf die vielen Kunden im Laden – richtig einsam im Moment. Die lustigen Abende mit Vicki und Basti und Anne und Oma und den anderen fehlen mir. Ich möchte sie wiederhaben. Aber ich habe das Gefühl, dass mir alle aus dem Weg gehen. Nicht mal Karl ist vorbeigekommen, um mich mal wieder auf ein Kuchenstückchen einzuladen.
Also gut, dann muss ich den ersten Schritt machen. Bei Vicki fange ich an. »Weißt du was«, sage ich. »Ich komme auch zu deiner Lesung!«
»Ehrlich?« Sie lächelt glücklich und ihre Katzenaugen strahlen. »Keine Probleme mehr mit Sex hinterm Lenkrad?«
»Willst du das etwa laut vorlesen?«, frage ich mit gespieltem Entsetzen.
»Na, wenn ich es leise
Weitere Kostenlose Bücher