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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Uhly
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befürchtet, jedes Quäntchen Aufmerksamkeit zu viel wird Hans neu für sie entflammen lassen. Aber Hans ist sehr weit entfernt von solchen Gefühlen. Er ist damit beschäftigt, seine Panik vor sich selbst zu verbergen, um normal sprechen und handeln zu können. Jetzt ist Platz auf dem Laufband und Hans beginnt damit, seine Waren aufzuladen, während der Kunde vor ihm an die Reihe kommt. Hans versucht, sie freundlich anzuschauen, aber sein Kopf spricht lauter Antworten auf Fragen, die noch niemand gestellt hat. Denn sie wird ihn nach den Dingen fragen, die er gekauft hat, das weiß Hans, sie wird vielleicht sogar misstrauisch werden, weil er doch im Grunde nur ein Penner ist, wie soll der zu einem Baby gekommen sein. Die Waren des anderen Kunden sind nun alle jenseits des Lesegeräts, Heike drückt ein paar Tasten auf ihrer Kasse, dann erscheint auf dem kleinen Display ganz oben eine Zahl und der Kunde beginnt damit, in seinem Portemonnaie nach Geld zu kramen. Plötzlich weiß Hans, was er ihr sagen wird, er wird sagen: Ach, ich kaufe für ein paar Nachbarinnen ein. Auf diese Weise verdiene ich mir etwas dazu. Das ist gut, das ist richtig gut, vollkommen überzeugend, denkt Hans und fühlt, wie die Panik von ihm abfällt und er endlich wieder ein wenig Kontrolle zurückgewinnt.
    Der andere Kunde hat bezahlt und erhält sein Rückgeld aus Heikes Hand, und nun wendet sie sich Hans zu und sagt: »Grüß Gott.« Sie lächelt flüchtig, aber als Hans zurücklächeln und den Gruß erwidern will, um den Auftakt für ihr übliches Kassengespräch zu geben, hat sie schon weggeschaut und sich nach hinten umgedreht. Dort stellt sie die Weiche um, damit sich Hans’ Einkauf nicht mit den Sachen des anderen Kunden vermischen kann. Und dann beginnt sie damit, seine Waren am Lesegerät vorbeizuziehen, ohne ihn noch einmal anzuschauen. Hans ist so perplex, dass er sie nur anstarrt, aber das bemerkt Heike gar nicht, denn sie konzentriert sich ausschließlich auf die Waren. Allmählich begreift Hans, dass Heike ihn wegen seiner Glatze und seines fehlenden Bartes gar nicht erkannt hat. Eigentlich ist das gut, das spürt er, und deshalb sagt er nichts. Trotzdem hat er das Gefühl, dass das Leben ihm wieder einmal die Zügel aus der Hand gerissen hat. Er betrachtet Heike, die sich überhaupt nicht wundert über seinen Einkauf. Fremde dürfen alles, denkt er. Bekannte nicht, Freunde weniger, und am wenigsten darf die Familie. Aber da werden Babys weggeworfen, denkt er. Aber Fremde entführen Babys, denkt er, denn so fühlt Hans sich jetzt: wie ein Kindesentführer. Er betrachtet Heike, die immer noch die Waren am Lesegerät vorbeizieht. Wenn er sie als Fremder betrachtet, dann hat sie gar nicht mehr den Reiz, den sie als Bekannte hatte. Ist das nicht seltsam, denkt er. Als Fremder müsste ich mir sofort eingestehen, dass sie nur ein weiterer Versuch wäre, endlich wieder eine Frau in mein Leben zu lassen, irgendeine, nur weil sie ein paar Mal freundlich zu mir war. Bestimmt aus Mitleid, denkt er.
    Inzwischen haben fast alle Waren das Lesegerät passiert und sind auf der anderen Seite gelandet, ab und zu schiebt Heike mit der Hand nach, um Platz zu schaffen, sie tut es, ohne hinzuschauen, es ist eine Geste der Gewohnheit. Hans kauft noch drei Plastiktüten, dann summiert die Kasse alles, der Preis erscheint im Display. Hans schluckt, als er ihn sieht. Wenn er das bezahlt, ist von Herrn Wenzels Geld fast nichts mehr übrig. Er zögert. Heike, die bisher dagesessen hat, ohne etwas zu sagen, ohne ihn anzuschauen, bloß wartend, bis das Geld ihre Augenhöhe erreichen würde, damit sie es in Empfang nehmen könnte, Heike hebt ihren Blick und schaut ihn an.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragt sie.
    Hans ist erschrocken, wenn sie ihn jetzt erkennt, wird alles noch seltsamer, weil er sich ja nicht zu erkennen gegeben hat. Aus welchem Grund? Hat er etwas zu verbergen? Schnell flüstert Hans: »Doch, doch«, und nickt nachdrücklich, dann holt er das Geld hervor und zahlt.
    Heike hat seine Stimme nicht erkannt, sie hat sein Gesicht nicht erkannt, sie nimmt das Geld entgegen und erstattet ihm den Restbetrag, sie verabschiedet sich mechanisch, dann ist schon der nächste Kunde dran. Er wird mit dem gleichen »Grüß Gott« empfangen wie zuvor Hans, und der steht nun hinter Heike und sammelt seine Lebensmittel ein.
    Das ist kein Glück, denkt Hans. Das ist Chaos. Es wäre ihm lieber gewesen, er hätte lügen müssen, zumal es eine gute Lüge war, die er

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