Glücksspiel der Liebe
Zwillinge gerade einmal neun Jahre alt waren. Nachdem sie den Großteil ihres Lebens ohne Mutter verbracht hatten, war Tante Edwina seit ihrer Ankunft in London ein willkommener Ersatz gewesen. Sie war aufmerksam und klug und verwöhnte die Mädchen, wie nur eine Frau es konnte, die sich immer Töchter gewünscht hatte.
»Und es ist ja nicht so, dass wir alle schon so alt sind wie Fiona. Gen, Sophia und ich haben noch massenhaft Zeit, passende Ehemänner zu finden.« Belle sah Fiona scharf an. »Wobei das natürlich nicht unmaßgeblich davon abhängt, ob wir eine Mitgift bekommen.«
»Dessen bin ich mir sehr wohl bewusst«, sagte Fiona grimmig.
»Vielleicht solltest du einfach selbst zu Lord Helmsley gehen, anstatt auf seinen Besuch zu warten?«, schlug Gen vor.
Fiona schüttelte den Kopf. »Das würde sich überhaupt nicht gehören.«
»Nicht gehören?«, fragte Belle spöttisch. »Und gehörte es sich etwa, ihm einen Heiratsantrag zu machen?«
»Du könntest doch einfach Oliver mitnehmen und niemand könnte sich darüber beklagen.« Sophia beugte sich vor. »Das würde allerdings bedeuten, dass du vorher Oliver alles erzählen musst.«
»Das lässt sich wohl nicht mehr lange vermeiden.« Fiona wusste selbst nicht so recht, warum es ihr widerstrebte, Oliver von ihrem Treffen in der Bibliothek zu erzählen.
Möglicherweise wollte sie einfach vermeiden, dass Oliver oder sonst jemand erfuhr, dass Jonathon sehr wahrscheinlich der einzige Mann auf der Welt war, den sie unter diesen Umständen heiraten wollte. Oder unter irgendwelche Umständen. Es klang absurd, selbst für ihre eigenen Ohren, aber so war es nun einmal. Noch lächerlicher war, dass sie in den vergangenen neun Jahren kaum jemals an ihn gedacht hatte — oder zumindest die letzten acht Jahre. Sie hatte ihn praktisch vergessen gehabt. Bis Oliver seinen Namen erwähnt hatte, war er ihr nie als geeigneter Ehemann in den Sinn gekommen.
Alles hatte so einfach geklungen, als sie und Oliver auf die Idee kamen. Einfach nur ein Hier bin ich, mein Herr, die Frau, die Si e sich immer wünschten. Und übrigens, habe ich schon erwähnt, dass ich so schnell wie möglich heiraten muss? Doch als sie dann allein mit Jonathon war, hatte sie die Worte kaum herausgebracht. Alles fühlte sich unpassend und schäbig an. Und verzweifelt. Na gut, sie war ja auch wirklich verzweifelt, aber...
Und nun, seit ihrem Treffen in der Bibliothek, war er der einzige Mann, den sie wollte. Oft hatte sie sich gefragt, wie es wohl wäre, am Weihnachtsball die Auserwählte in der Bibliothek mit Jonathon Effington zu sein. Schon seit sie ihn vor neun Jahren in eben diesem Raum sah.
Sie und ihre Familie sollten sich ein paar Tage nach Weihnachten 1845 nach Frankreich einschiffen. Ihre Eltern waren zum Effington sehen Ball eingeladen gewesen, und obwohl Fiona erst eben siebzehn geworden war, durfte sie sie begleiten. Denn, wie ihr Stiefmutter bemerkt hatte, wer wusste schon, wie lange es dauern würde, bis sie die nächste Gelegenheit zum Besuch eines Londoner Balls erhielt?
An diesem Heiligabend war alles so gewesen, wie Fiona es sich erträumt hatte. Jeder Winkel, jede Nische war mit Zweigen und Schleifen geschmückt; Musik und Gelächter erfüllten die Luft. Gewandte Tänzer wirbelten über den Tanzboden und bildeten ein endloses Kaleidoskop aus leuchtenden Farben und blitzenden Juwelen. Wunderschöne Damen in der neuesten französischen Mode scherzten mit eleganten Herren in festlichen Anzügen. Aber niemand sah besser aus als der junge Jonathon Effington.
Fiona hatte Jonathon quer durch den Raum entdeckt und er hatte ihr den Atem verschlagen. Als sie später darüber nachdachte, hatte sie festgestellt, dass er möglicherweise nicht der attraktivste oder charmanteste Gentleman auf dem Ball gewesen war. Doch etwas an ihm war unwiderstehlich, als wäre er von Licht umgeben. Wenigstens in ihren unkritischen Augen war das so. Der Mann verströmte Lebenslust, und wenn er lachte, liefen ihr köstliche Schauer über den Arm.
Sie hatte beinahe eine Stunde gebraucht, um den Mut zu fassen ihn anzusprechen — wenn auch nur, um ihm ein frohes Fest zu wünschen. In den folgenden Jahren sollte Fiona noch beinahe fünf Zentimeter wachsen und ihre etwas stämmige Figur sich sehr zu ihrem Vorteil entwickeln. Doch an jenem Abend war davon noch nicht viel zu erkennen gewesen. Trotzdem war sie mit all der dramatischen Verzweiflung eines jungen Mädchens, dem soeben möglicherweise die Liebe ihres
Weitere Kostenlose Bücher