Glut der Gefuehle - Roman
nicht zu Wort.
»Also hat der Oberst Recht«, bemerkte Southerton, »du bist wirklich einfallsreich.«
War dies ein Kompliment? Oder nur eine Feststellung? Er ließ sie noch immer nicht los.
»Sind wir das nicht alle, wenn es gewisse Umstände erfordern?«, entgegnete sie kühn.
Er schaute zum Fenster empor, aus dem die zusammengeknoteten Laken herabhingen und sanft umherschwangen. »Mag sein, aber in dieser Hinsicht bist du besonders talentiert.« Nun erlosch sein Lächeln. »Wie ich annehme, hattest du ein bestimmtes Ziel vor Augen.«
»Die Küche. Falls du mich nicht in den Hungertod treiben möchtest, würde ich gern frühstücken.« Als sie seinen skeptischen Gesichtsausdruck sah, fragte sie: »Oder dachtest du etwa, ich wollte die Flucht ergreifen?«
»Ich muss zugeben, dieser Verdacht liegt nahe.«
»Dann darf ich dich vielleicht auf eine nicht unerhebliche Nebensächlichkeit hinweisen. Ich kann nicht reiten und saß noch nie im Leben auf einem Pferd. Vor diesen Tieren fürchte ich mich. Als ich gezwungen war, die Grauschimmel zu versorgen, wurde meine Nervenkraft auf eine harte Probe gestellt. Jetzt, wo außerdem dieses große schwarze Biest im Stall steht, wage ich mich gewiss nicht mehr hinein. Und obwohl ich einen Morgenspaziergang schätze – der Fußmarsch nach London würde viel zu lange dauern. Also habe ich mein Zimmer nur verlassen, um zu frühstücken.«
Während dieser überzeugenden, kleinen Ansprache war Southertons Blick zu Indias Lippen gewandert, und
ihre betörende Sinnlichkeit raubte ihm beinahe den Verstand. Genüsslich drückte er sie an die Hausmauer.
»South...« Verwirrt umfasste sie die Aufschläge seines Gehrocks.
Nur selten sprach sie seinen Namen aus. Dass sie es jetzt tat, verriet ihre Bestürzung – und ihre Angst vor intimen Zärtlichkeiten. Diese Erkenntnis ließ seine Leidenschaft sofort erkalten.
Abrupt trat er einen Schritt zurück und spürte, wie ihre Finger zögernd von seinen Revers glitten. Doch sie hatte sicher bloß etwas zu langsam auf die plötzliche Freiheit reagiert – und wohl kaum versucht, ihn festzuhalten, weil sie einen Kuss erhoffte.
»Mrs Simon hat ein Frühstückstablett für dich vorbereitet«, erklärte er. »Das sollte Darrow in dein Zimmer bringen. Von deiner Gefangenschaft weiß die Witwe nichts. Mein Diener erzählte ihr, du habest gestern Abend und heute Morgen über eine Unpässlichkeit geklagt. Nun kannst du ihr sagen, was du willst. Aber an deiner Stelle würde ich sie nicht um Hilfe bitten, India. Für die Arbeit, die sie hier leistet, wird sie großzügig entlohnt, und sie ist West treu ergeben. Deshalb wäre es ihr sehr unangenehm, wenn du sie ersuchen würdest, einen seiner Freunde zu hintergehen.«
»So etwas würde ich niemals tun, und ich verspreche dir, nicht ohne deine Erlaubnis abzureisen. Doch falls du mich noch einmal einsperren solltest, rede ich kein Wort mehr mit dir.«
»Das ist eher eine Drohung als ein Versprechen.«
»Nenn es, wie du willst. Bist du einverstanden?«
Southerton betrachtete ihr Gesicht um herauszufinden, ob sie es ehrlich meinte, und begegnete einem offenherzigen Blick. Aus ihrem Haarknoten hatte sich eine Strähne
gelöst. Geistesabwesend strich sie die Locke zur Seite und wartete angespannt auf seine Antwort.
»Also gut«, stimmte er zu.
Sie nickte, dann ging sie an ihm vorbei zur Vordertür des Cottages.
»Moment noch, India...«
»Ja?« Nur widerwillig blieb sie stehen und drehte sich um.
»Was würde Mrs Simon denken, wenn sie dich in diesem Aufzug sieht?«, fragte er amüsiert. »Ganz zu schweigen von dem blutbefleckten Laken unter deinem Arm.«
»Oh|...« Erschrocken starrte sie ihren hochgerafften Musselinrock an, der ihre Schienbeine entblößte, und das zusammengeknüllte Leintuch.
Dann rannte sie hinter das Haus und versuchte, sich präsentabel zu machen. South schaute ihr lachend nach und schlenderte belustigt zum Stall.
Inzwischen betrat India das Cottage durch die Hintertür und hoffte, sie würde das obere Stockwerk unbemerkt erreichen. Aber vor der Treppe begegnete ihr der Kammerdiener, ein voll beladenes Tablett in den Händen, das er bei ihrem Anblick vor lauter Verblüffung beinahe fallen ließ.
Sekunden später kam Mrs Simon aus der Küche und ersparte es ihm, Fragen zu stellen.
»Ach, Miss Parr!«, rief die Witwe. »Wie ich sehe, waren Sie spazieren. Und ich dachte, Sie würden noch im Bett liegen. Zumindest hat das Seine Lordschaft behauptet.« Sie wischte ihre
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