Glut der Versuchung
zufriedenen, erschöpften Seufzer lehnte Roslyn sich in die weichen Polster der Kutsche zurück. Sie hatte Arabella versprochen, sich um das Anwesen und die Akademie zu kümmern, solange die Frischvermählten auf Hochzeitsreise waren. Die Sommerferien hatten bereits begonnen, und daher waren die meisten Schülerinnen schon zu Hause. Und nun, da die Hochzeit überstanden war, freute Roslyn sich auf ein paar Wochen Ruhe und Frieden und hoffte, Haviland dazu zu bewegen, sich hoffnungslos in sie zu verlieben oder zumindest ihre gerade begonnene Freundschaft zu vertiefen.
Winifred hörte ihr Seufzen und reagierte mit einem zufriedenen Seufzer ihrerseits. »Es ist schön, Arabella so glücklich zu sehen. «
»Ja, das ist es«, bestätigte Roslyn leise.
»Ich wette, eure Mutter ist überglücklich«, gab Winifred im Brustton der Überzeugung von sich. »Victoria war unendlich erleichtert, wenigstens eine ihrer Töchter gut verheiratet zu sehen. Sie hatte ja berechtigte Angst, dass der Skandal eure Aussichten auf anständige Ehen für immer vernichtet hätte. «
Was auch fast geschehen war, dachte Roslyn. Aber sie hatte sich selbst nie erlaubt, ihr Los zu bejammern, und damit würde sie jetzt gewiss nicht anfangen. »Es ist vorbei, Winifred.«
»Nicht annähernd, meine Liebe«, erwiderte Winifred mit einem lachenden Kopfschütteln. »Das ist erst der Anfang für dich und Lily. Ich hege große Hoffnungen, für euch zwei gute Partien zu sichern. «
Roslyn gab sich redliche Mühe, ihren Missmut hinter einem netten Lächeln zu kaschieren. »Du weißt, wie Lily über die Ehe denkt.«
»Sie wird ihre Meinung ändern, wenn sie dem richtigen Mann begegnet.«
Roslyn blieb skeptisch, denn sie bezweifelte, dass ihre eigenwillige jüngere Schwester jemals ihre Einstellung zur Ehe ändern könnte. Nach dem abstoßenden Beispiel, das ihre Eltern ihnen gewesen waren, hatte Lily geschworen, sich niemals solchem Ehekrieg auszusetzen.
Nicht minder entschlossen war Roslyn, keine Verbindung einzugehen, die arrangiert wurde und bar jedweder Zuneigung war. Deshalb wollte sie, wenn überhaupt, nur aus Liebe heiraten. Und sie war sich mit Lily insofern einig, als sie nicht den geringsten Wunsch verspürte, sich den Kuppelversuchen von Winifred, so gut gemeint sie waren, auszusetzen.
»Mag sein«, sagte Roslyn bestimmt, »aber Lily wird ihre eigenen Entscheidungen fällen, was eine Eheschließung betrifft, mit oder ohne äußere Einflussnahme.«
Bei dieser Anspielung auf ihre Kuppelbemühungen gab sich Winifred nun doch ein wenig schuldbewusst. »Ich möchte euch beide doch nur glücklich sehen.«
»Ich weiß, Winifred, aber du solltest uns gestatten, selbst für unser Glück ... «
Sie verstummte abrupt, als sie merkte, wie die Kutsche langsamer wurde. Einen Moment später hörte sie einen Ruf von draußen.
»Anhalten, sage ich! «
»Was zum Teufel ist da los? «, murmelte Winifred.
Roslyn, die nicht minder verwirrt war, sah aus dem Fenster. Die Kutschenlampen gaben hinreichend Licht, um den Reiter am Wegesrand zu erkennen, und Roslyns
Herz pochte wie wild, als sie feststellte, dass er maskiert und mit einer Pistole bewaffnet war.
» Stehen bleiben und Hände hoch! «, befahl er, die Waffe auf den Kutscher gerichtet.
Die beiden Damen blickten einander erschrocken an, als die Barouche wackelnd anhielt.
»Ich fürchte, wir werden überfallen«, murmelte Roslyn.
»Und ich trage meine besten Juwelen«, flüsterte Winifred besorgt.
Als der Wegelagerer seine Pistole auf den hinteren Teil der Kutsche richtete, wusste Roslyn, dass er den Diener meinte, der auf dem Gepäckfach hockte.
»Du da, Bursche, steig ab und öffne die Tür! «
Der Diener musste runtergesprungen sein, denn gleich darauf schwang die Tür auf. Durch die Öffnung konnte Roslyn den Angreifer auf seinem Braunen besser erkennen. Er war rothaarig, hatte einen dunklen Mantel an und war eher klein, wodurch die Pistole in seiner Hand umso größer und gefährlicher wirkte.
Dasselbe musste der Diener denken, denn nachdem er die Stufen runtergeklappt hatte, trat er mit erhobenen Händen beiseite und starrte voller Furcht auf die Waffe.
»Kommen Sie raus, Euer Ladyschaft«, rief der Bandit.
Er kommandierte sie nach draußen, doch Winifred schien ihm nicht gehorchen zu wollen. »Das werde ich nicht! «, erwiderte sie aufmüpfig.
»Sie werden, oder ich erschieße Ihren Diener.«
Die Stimme des Wegelagerers klang erstaunlich unsicher, wenn auch immer noch hinreichend
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