Glut der Versuchung
Ich bekam sie von dem Juwelier, bei dem sie gereinigt worden war. Rupert starb so plötzlich, dass ihm keine Zeit blieb, seine Angelegenheiten zu regeln. Ich glaube, die Miniatur war ein Geschenk an seine Mätresse ... «
Winifred reichte Roslyn das leere Glas, hob beide Hände vors Gesicht und weinte leise vor sich hin.
Roslyn umarmte sie.
Als Drew ihr schweigend ein Taschentuch hinhielt, sah Roslyn dankbar zu ihm auf. Winifred nahm es, und schließlich hörte sie auf zu schluchzen.
»Es tut mir leid«, murmelte sie, während sie sich die Augen abtupfte. »Ich wollte nicht weinerlich sein. Es ist nur ... den Jungen zu sehen ... hat einige schmerzliche Erinnerungen geweckt. «
»Ich weiß«, sagte Roslyn leise.
»Rupert hat keine Verwandten«, fügte Winifred schniefend hinzu. »Er war der Letzte seiner Linie, und sein Titel starb mit ihm. Das bereue ich am meisten. «
»Du solltest mit der Vergangenheit abschließen, Winifred.«
»Ja, du hast Recht«, sagte sie und setzte sich auf. »Ich kann unmöglich hierbleiben und töricht vor mich hinschniefen. Schließlich habe ich Dinnergäste. Es ist furchtbar ungezogen, sie einfach allein zu lassen. Ich bin vielleicht nicht als Lady geboren, aber so viel weiß ich! «
Roslyn lächelte. »Bitte, mach dir keine Sorgen mehr wegen des Diebes, Winifred. Denk nicht einmal an ihn. Seine Durchlaucht und ich werden entscheiden, was zu tun ist. «
Winifred schaute mit tränenglänzenden Augen zu Drew auf. »Ich wollte Sie nicht mit meinen Problemen belästigen, Durchlaucht. Ich wollte bloß, dass Sie den wahren Wert meiner lieben Roslyn erkennen.«
Er erwiderte mit einem charmanten Lächeln und warf Roslyn einen Blick zu, während er Winifred aufhalf. »Den erkenne ich durchaus, Mylady. Dennoch sollten Sie weitere Nachforschungen über den Jungen mir überlassen.«
»Überlass sie und«, korrigierte Roslyn. »Wir besprechen die Angelegenheit, und du gehst schon mal zu deinen Gästen zurück, Winifred.«
»Na schön«, sagte ihre Ladyschaft. »Ich weise Pointon an, euer Essen warmzuhalten.«
Nachdem sie fort war, setzte Drew sich zu Roslyn aufs Sofa. Sie kräuselte nachdenklich die Stirn. »Glaubst du, dass sie Recht hat? «, fragte sie. »Dass der Dieb wirklich Sir Ruperts leiblicher Sohn ist?«
»Es würde manches erklären. Falls die Brosche vor über vier Jahren irrtümlich in ihren Besitz kam, will er sie vielleicht zurück. Aber warum jetzt? Und was ist aus seiner Mutter geworden, wenn sie Sir Ruperts Mätresse war? «
»Der Junge könnte tatsächlich ein Diener sein«, überlegte Roslyn laut. »Falls sein Vater nicht für ihn gesorgt hat, war er womöglich gezwungen, sich eine Stellung zu suchen, um zu überleben. Vielleicht ist er in einem adligen Haushalt beschäftigt, und die Livr6e, die er trug, war keine Verkleidung. « Roslyn riss die Augen weit auf. »Gütiger Himmel! Was ist, wenn er letzte Woche in Danvers Hall bediente? Wir hatten reichlich zusätzliches Personal für die Hochzeitsfeier geordert.«
Drew nickte. »Das würde auch die Frage beantworten, woher er wusste, wann und wo er Lady Freemantles Kutsche aufhalten konnte. Er hätte sie beobachten und ihr nachreiten können, als sie den Ball verließ. «
»Ich sollte die Simpkins fragen, ob ihnen ein Diener auffiel, der sich seltsam verhielt.«
»Gut. Inzwischen erfährt die Bow Street hoffentlich Näheres über die Livr6e.«
»Gibt es denn keine andere Spur, die wir verfolgen können? Ich hasse es, nichts zu tun. «
Ihre Ungeduld brachte Drew zum Lächeln. »Ich habe vor, morgen Sir Ruperts Anwälte aufzusuchen und herauszufinden, wie viel sie über eine frühere Mätresse wissen. Haben wir erst ihren Namen, finden wir auch den Jungen.«
Roslyn sah ihn bewundernd an. »Das ist sehr klug. Und falls Sir Rupert so lange eine einzige Mätresse hatte, könnte auch Fanny etwas über sie gehört haben. Und selbst wenn sie nichts über Sir Ruperts Arrangement wusste, hat sie vielleicht Bekannte, die sich erinnern.«
»Ja, sie könnte eine gute Informationsquelle sein«, pflichtete Drew ihr bei.
»Eventuell weiß der Juwelier, von dem Winifred die Brosche bekam, noch, für wen sie war. «
Drew schüttelte den Kopf. »Nein, das bezweifle ich. Da sie die Brosche Lady Freemantle brachten, kannten sie die eigentliche Besitzerin eher nicht. Auf jeden Fall aber sollten wir bei unseren Erkundigungen so diskret wie möglich vorgehen, um Gerüchte zu vermeiden,
»Stimmt«, sagte Roslyn. »Aber ich möchte
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