Glut unter der Haut
als die selbstbewusste Sekretärin ihren Namen rief. Eine weitere Frau, elegant, schlank und modisch angezogen, verließ gerade das Büro. Sie taxierte Kathleen mit einem kalten Blick, als sie an ihr vorbei- und aus der T ür ging. Kein Zweifel, diese Bewerberin wollte den Job auch.
»Mr. Kirchoff lässt bitten«, sagte die Sekretärin. »Entschuldigen Sie bitte, dass Sie warten mussten.«
»Keine Ursache«, antwortete Kathleen freundlich. »Und vielen Dank.«
Mit wackligen Knien ging sie auf die T ür zu und betrat das Büro. W arum war sie nur so nervös? Das sah ihr gar nicht ähnlich. Sie war doch sonst so selbstsicher. W ar das eine weitere A uswirkung von der Begegnung mit Erik Gudjonsen?
Entschlossen nahm sie all ihren Mut zusammen, hob das Kinn und ging über den kostbaren dunkelblauen T eppich auf den ungewöhnlich breiten Schreibtisch zu.
Der Mann, der hinter diesem Schreibtisch saß, schaute sie mit einem distanzierten Gesichtsausdruck an, doch dann schaute er ein zweites Mal hin, diesmal jedoch mit mehr W ohlwollen in seinen dunklen A ugen. »Miss Kathleen Haley?«, fragte er mit angenehmer Stimme.
»Ja.« Sie lächelte.
»Nehmen Sie bitte Platz. Ich bin Seth Kirchoff.« Da er nicht aufstand, ergriff sie seine gepflegte Hand über den Schreibtisch hinweg und erwiderte seinen Handschlag.
»Sehr angenehm, Mr. Kirchoff«, sagte sie, als sie sich setzte. »Es freut mich, dass Sie mich empfangen.« Langsam kehrte ihr Selbstvertrauen zurück. Sie wusste um die W irkung ihres Äußeren, wusste, dass sie dem Bild der stilsicheren, kompetenten Einkäuferin eines Modehauses entsprach. Ihr leichtes Leinenkostüm entsprach der Jahreszeit, spielte farblich mit dem sanften A ltgoldton auf den Herbst an. Der schmale Rock betonte ihre Figur vorteilhaft, und das kurze Jackett saß knapp, wurde aber durch die cremefarbene Crêpebluse darunter aufgelockert. Ihre braunen Pumps und die dazu passende Handtasche waren Schätze, die sie bei ihrem letztjährigen Besuch in New York bei Gucci hatte ergattern können. Kleine goldene Kugeln baumelten von ihren Ohren. Ihr dunkles rotbraunes Haar hatte sie zu einem losen Knoten im Nacken zusammengebunden; das Make-up war sorgfältig von ihr ausgewählt worden und passte perfekt zu ihrer Kleidung und zum Haar.
Sie schaute zu dem Mann hinter dem Schreibtisch. Er hatte dunkles, welliges Haar und sah auf eine sehr empfindsame W eise sehr gut aus. Er war nicht so rau und ungestüm wie …
Hör auf damit! ,schalt sich Kathleen, während sie weiter Mr. Kirchoff betrachtete. Sein Mund war sinnlich und sanft. Seine Nase war lang, schmal und harmonisierte mit seinen Gesichtszügen.
So gutaussehend er auch war, so war Kathleen doch von seinen A ugen gefesselt. Sie waren schokoladenbraun, eindringlich und tief, aber nicht geheimnisvoll, sondern offen und warm; sie sprachen von A ufrichtigkeit und … ja, was …? Mitgefühl?
Kathleens Blick wanderte von seinem Kinn über die ausgeprägten Schultern, wo ihr Blick verharrte. A nstatt der Lehne eines übergroßen Ledersessels sah sie Chrom aufblitzen. Seth Kirchoff saß in einem Rollstuhl.
Ihr größter W unsch in diesem A ugenblick war, dass er ihren Schreck nicht bemerkt hatte, doch das hatte er. »Es ist ziemlich schaurig, wenn man es zum ersten Mal sieht, nicht wahr?«, fragte er und schaute auf die A rmlehnen des Rollstuhls. »Aber wenn man sich erst mal daran gewöhnt hat, ist es gar nicht mehr so schlimm.« Er sah sie mit seinen freundlichen A ugen an und lächelte.
»Ich finde es nicht schaurig«, antwortete sie aufrichtig. »Ich habe damit nur nicht gerechnet.«
Er schmunzelte gewinnend. »Ich habe schon manchmal daran gedacht, draußen ein Schild anzubringen: ›Vorsicht! Mann im Rollstuhl!‹«
Kathleen lachte spontan. »Auf diese W eise hätten Sie sich manch ödes Bewerbungsgespräch ersparen können.«
»Da haben Sie recht. V ielleicht sollte ich es tatsächlich tun.« Sie lächelten einander an. »Auch auf die Gefahr hin, rührselig zu klingen, möchte ich Ihnen geradeheraus sagen, dass ich in der Nacht meiner A bschlussfeier am College in einen A utounfall verwickelt war. Drei meiner Kommilitonen kamen dabei ums Leben. Ich überlebte, aber ein gebrochener Rückenwirbel machte mich zum Querschnittgelähmten.«
»Da haben Sie aber großes Glück gehabt.«
Er legte das Kinn auf die Fäuste, die Ellenbogen auf die Lehnen seines Rollstuhls gestützt. »Das ist eine sehr ungewöhnliche A ntwort, Miss Haley. Die meisten
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